Die Schwerkraft ist eine Lüge

■ Vier Meter sind ein langer Weg für einen Ton: Der Tubaspieler Howard Johnson ist dieser Tage mit seinem Projekt „Gravity“ auf Tour in Deutschland und Europa

Ein Tubaspieler ist arm dran. Zu Gewicht und Größe des Instruments kommt noch die bescheidene Rolle im Musikleben hinzu. Wenn's laut und tief sein soll, dann ist die Tuba nach allgemeinem Dafürhalten gefragt.

Einer, der zeit seines Lebens nach höheren Tönen und Weihen gestrebt hat, ist der US-amerikanische Tubaspieler und Baritonsaxophonist Howard Johnson. In seinem neuen Projekt „Gravity“ (CD bei Verve/Polydor) wird nicht nur die Schwerkraft Lügen gestraft. Schon Ende der sechziger Jahre bildete Johnson eine Formation aus fünf Tuben, die jahrelang erfolgreich bei Taj Mahal spielte. 1976 lieferte diese ein legendäres Konzert im New Yorker Central Park ab und dröhnte im folgenden Jahr durch Europa. Alle Kritiker sagten damals: „Wow!“ und alle Produzenten: „Ja, das ist wirklich großartig.“ Einen Plattenvertrag hat er trotz aller Klinkenputzerei aber nicht bekommen.

Lange braucht ein Ton, um die insgesamt vier Meter langen Wickelungen der Tuba zu durchmessen, und viel Geduld ein Tubaspieler. Nach 30 Jahren hat sich Howard Johnsons Lebenstraum einer Tuba-CD schließlich verwirklicht. Die Crème de la crème der New Yorker Tubisten (unter anderem Bob Stewart, Dave Bargeron, Earl McIntyre) hat dem Projekt begeistert zugestimmt. Alle Leidensgenossen, so Johnson, hätten auf so eine Gelegenheit nur gewartet.

Wer hier an Blaskapellen deutscher Provenienz denkt, liegt falsch. Schwere und Schwerkraft der Tuba konterkarieren Johnson und seine Mitstreiter mit federnder Leichtigkeit. Arrangements und Darbietung lassen schlichtweg an der Existenzberechtigung von Posaunen und Trompeten zweifeln. Die riesigen Instrumente produzieren einen swingend-elastischen Klang, in welchen sich hineinzulegen an ein gutes Sofa erinnert. Und damit „Gravity“ nicht zu gravitätisch wird, führt der Tubist auch sein „Spielzeug“, die „pennywhistle“, vor. Angesichts des ehrfurchteinflößenden Ausmaßes der Johnsonschen Finger droht diese billige Kinderpfeife dazwischen glatt zu verschwinden. Schwerelos aber fliegt ihr Klang über dem röhrenden Untergrund dahin – nicht nur ein „gewichtiger“ Kontrapunkt zur Tuba.

Gewiß, die Stücke sind, von zwei Eigenkompositionen abgesehen, zumeist „standards“. Aber was ist schon ein „standard“? Hier wird lustvoll zelebriert, was einst Standards setzte – und nicht standardisiertes Altbekanntes abgenudelt. So spiegelt „Gravity“ eher des Tubisten Johnson Biographie wider. Mal guckt der „Blues“ eines Charlies Mingus vorbei, mal schimmert die Arrangierkunst eines Gil Evans durch, mal blitzt Humor Marke Adderley auf. Allzu avantgardistische Töne sind hier nicht zu vernehmen, aber dafür ein uramerikanisches Musikantentum, spielfreudig, groovig, roots- und soulbezogen.

Neue Wege und Risiken einzugehen ist dem 54jährigen allerdings nicht fremd. In einem Alter, in dem andere die noch verbleibenden Jahre bis zur Rente zählen, hat Johnson einen gutdotierten Job bei der NDR-Bigband in Hamburg aufgegeben. Ins heimische New York zurückgekehrt („Ein fester Job macht träge!“), hat er nun hinreichend Gelegenheit, Auftritten nachzujagen. In den Siebzigern war er sich nicht zu schade, bei The Band und in der populären TV- Show „Saturday Night Life“ mitzuspielen. Mit Diana Ross hat er sich weiland in einem legendären Streit angelegt. Und statt auf die amtlichen New Yorker „Heavyweights“ zurückzugreifen, geht er gerne mit jungen deutschen Musikern auf Tournee.

Ein bekannter Jazzmusiker meinte einmal, daß Howard Johnson für jede seiner vielen Geschichten jeweils eine „short“ und eine „extended version“ (allgemein lieber letzteres) parat habe. Wie es zur Kombination des Hünen Johnson und seiner kleinen „pennywhistle“ kam, erinnert ein wenig an die zahllos kursierenden Versionen, wie Dizzy Gillespie zu seiner verbogenen Trompete gelangte. Mit dieser und vielen anderen Erzählungen, Tubaensemble und Rhythmusgruppe wird Howard Johnson im März auf einer Europatournee aufwarten. Und dazu gäbe es ja noch die Geschichte von dieser übenden Bigband im Hotel zu erzählen .. Henry Altmann

Howard Johnson spielt heute beim Musikfestival Burghausen