Telefonboom verschlafen

Massenentlassungen bei Alcatel-SEL: Ganze Produktionsstätten in Süddeutschland sollen geschlossen werden  ■ Aus Stuttgart Matthias Mantzen

Stuttgart (taz) – Der französische Elektronikkonzern Alcatel- Alsthom will in seinem deutschen Tochterunternehmen Alcatel- SEL in den kommenden 18 Monaten insgesamt 4.000 Arbeitsplätze streichen. Das teilte gestern der Gesamtbetriebsrat des Unternehmens mit und kündigte für den kommenden Dienstag einen Aktionstag an allen neun deutschen Alcatel-SEL-Standorten an. Besonders betroffen sind die Produktionsstätten in Landshut (Bayern) und Bonndorf (Baden-Württemberg). Ihnen droht laut Betriebsrat die vollständige Schließung. In der Stuttgarter Zentrale des Unternehmens soll ebenfalls drastisch eingespart werden.

Damit setzt der seit Juni 1995 als Präsident des Gesamtunternehmens amtierende Serge Tchuruk seine radikale Kürzungspolitik fort. Tchuruk hatte angekündigt, den Konzern bis 1998 aus den roten Zahlen zu führen und pro Jahr 10.000 Arbeitsplätze zu streichen. Im vergangenen Jahr hatte der „französische Siemens“ weltweit einen Verlust von etwa 7,5 Milliarden Mark erwirtschaftet.

Gründe für die Misere sind vor allem der verpaßte Einstieg ins Mobilfunkgeschäft und fatale Fehler bei der Produktion von Telekommunikationssoftware. So verärgerte Alcatel erst Anfang dieses Jahres seinen Großkunden Deutsche Telekom, als aufgrund eines Fehlers der Software Tausende von Telefonrechnungen falsch ausgestellt wurden. Der Betriebsrat von Alcatel-SEL ist vor allem über Pläne empört, zukunftssichere Arbeitsplätze im Entwicklungsbereich aus Deutschland nach Frankreich zu verlagern. So soll zum Beispiel das Alcatel-Forschungszentrum ganz aus Stuttgart abgezogen werden.

Seit 1991 hat Alcatel-SEL die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland von 23.800 auf heute 17.000 reduziert. Der weltweit größte Hersteller von Kabeln für die Telekommunikation und den Energietransport plant, insgesamt fast 40 Prozent seiner 120 Betriebsstätten zu schließen.

Die Firmenleitung selbst will ihre Pläne erst auf ihrer Bilanzpressekonferenz am Donnerstag nächster Woche in Paris bekanntgeben. Die Sprecherin des deutschen Tochterunternehmens, Claudia Wesemann, hielt sich gestern denn auch bedeckt: „Über die Restrukturierungsmaßnahmen sollen die Gremien in Deutschland erst Ende dieses Monats informiert werden.“

Der baden-württembergische Wirtschaftsminister Dieter Spöri (SPD), der sich den Wählern und Wählerinnen am morgigen Wahlsonntag als zukünftiger Ministerpräsident empfiehlt (Wahlslogan: „Spöri schafft Arbeitsplätze“), traf gestern mit dem Gesamtbetriebsrat im Stuttgarter Alcatel-Werk zusammen. Er sicherte den Arbeitnehmervertretern seine volle Unterstützung zu.