Sexorgien bei Jesus und Einstein

Sektenumtriebe am Fuße des Märchenschlosses Neuschwanstein in Bayern. Ein Imperium schottet sich vor den Behörden ab, aber nicht vor der Öffentlichkeit in der Stadt Füssen  ■ Von Klaus Wittmann

Was ist so dick wie zwei Pavarottis? Der kleine drahtige Sportler im Stadtcafé zwinkert mit den Augen. „Das ist ein gemeines Rätsel, das versteht man doch nur in Füssen!“ Hier, am Fuße des Märchenschlosses Neuschwanstein, treibt nämlich nahezu ungehindert seit über 20 Jahren ein Mann sein Unwesen, der von sich selbst behauptet, die Reinkarnation von Jesus, Albert Einstein und König Ludwig II. zu sein.

Es handelt sich um den Chef des nach ihm benannten Wankmiller- Clans, Wolfgang Wankmiller. Nur noch selten weilt dieser Koloß von einem Mann in seinem wallenden Gewand, mit dunklem Vollbart und schulterlangen Haaren, unter den Normalsterblichen. Dabei saß er vor einigen Jahren noch als Chef der Bayernpartei ganz stramm in bayerischer Lederhose im Stadtrat von Füssen.

1990 sei die Wankmiller- Truppe, die nicht nur der 2. Bürgermeister Karl Brandner klar als Sekte einstuft, noch mit fünf verschiedenen Gruppierungen zur Stadtratswahl angetreten. Der zweite Mann und „Finanzminister“ der Sekte, ein Unternehmensberater namens Otto Piepenburg, stieg gar als Bürgermeisterkandidat in den Ring. Zuvor hatten die Getreuen erfolgreich versucht, die SPD und CSU zu unterwandern. Als sich Sozialdemokraten und Christsoziale gegenseitig Einblick in ihr Allerheiligstes, in ihre Mitgliedslisten, ermöglichten, stießen sie auf eine ganze Reihe von Doppelmitgliedschaften.

Wolfgang Wankmiller, Baujahr 58, ist in Füssen so bekannt, wie er außerhalb der Stadt unbekannt ist. Schon in der Realschule ließ er sich mit „Jesus“ anreden. Seit Jahren macht er mit seiner Sekte immer wieder durch angebliche Sexorgien im Beisein von Kindern von sich reden. Der sexuelle Mißbrauch von Kindern konnte ihm aber bislang nicht nachgewiesen werden. „Wir mußten das Vorermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf sexuellen Mißbrauch von Kindern einstellen“, erklärt der Leitende Oberstaatsanwalt in Kempten, Walter Hofmaier. Dabei würde der Chefermittler dem Treiben in Füssen nur zu gerne ein Ende bereiten, nachdem er durch mehrere anonyme Schreiben und Anzeigen darauf aufmerksam gemacht wurde. Aber das Vormundschaftsgericht Kaufbeuren hat es abgelehnt, die Kinder ohne ihre Sorgeberechtigten verhören zu lassen.

Die Jesus-Inkarnation tauft die Babys

Der Füssener Rechtsanwalt Alexander Desing betreut seit Jahren Familienangehörige von Sektenmitgliedern. Er spricht von einer totalen Überwachung der Mitglieder und einer Beschneidung des letzten Funkens persönlicher Entscheidungsfreiheit. „Der Wankmiller bestimmt die Begattung, wie sie das nennen. Das heißt, er legt fest, welcher Mann welcher Frau wann ein Kind zu zeugen hat.“

Kinder werden nach seinen Informationen gemeinsam erzogen, um nur ja keine Mutter-Kind-Beziehung aufkommen zu lassen. Bei der Geburt füllt sich dann jeweils die Klinik mit Sektenmitgliedern, die dabei sind, wenn die Jesus-Einstein-Ludwig-Inkarnation W. W. die Babys „tauft“. Danach wird es dann ganz pragmatisch. Die Frauen marschieren kurzerhand zum Jugendamt, geben an, ihnen sei der Vater des Neugeborenen nicht bekannt und lassen sich letztlich von der Behörde die Alimente ausbezahlen.

Daß die Wankmiller-Sekte ungehindert expandieren kann, wurmt viele Füssener, unter anderem den Bürgermeister Paul Wengert (SPD). „Es ist kein Geheimnis, daß diese Gruppe in Füssen mehrere Einzelhandelsgeschäfte betreibt, daß hier ein gut florierender Verlag betrieben wird, daß esoterische Veranstaltungen weit über unseren Raum hinaus stattfinden“, sagt das Stadtoberhaupt. „Das sind rund zehn Anwesen, die man denen momentan zurechnen kann“, ergänzt sein Vize, Karl Brandner. Dies alles in bester Wohn- und Geschäftslage.

Doch ungeachtet aller Vorwürfe floriert das Geschäft des Wankmiller-Clans. In der sekteneigenen Füssener Heimatzeitung erscheinen Anzeigen nahezu aller Füssener Geschäftsleute. „Denen ist es scheinbar egal, womit sie ihr Geld verdienen!“ beschwert sich daher auch eine Nachbarin des Schlosses. Dem florierenden Unternehmen, zu dem der Pegasus- Verlag zählt, gehören auch die Esoterikläden Quabbalah, Mandala, die „Praxis für Psychologische Beratung“ und die „Bayerische Gesellschaft für Ganzheitliche Medizin“. Über die genaue Zahl der Sektenmitglieder wird seit Jahren in Füssen spekuliert. Von weit über hundert ist die Rede, aber verläßliche Angaben dazu gibt es nicht.

Alle arbeiten sie in den einzelnen Filialen des Wankmiller-Piepenburg-Kartells für Gottes Lohn. Steuern und Abgaben sollen dem Fiskus vorenthalten werden. Laut Rechtsanwalt Desing würde Wankmiller über die Firma „Pro Expo“ auch überregionale Kurse und Tagungen veranstalten.

Als vor einigen Jahren das Finanzamt die Steuerfahnder losschickte, habe ganz offensichtlich die Wankmiller-Truppe einen Tip bekommen und eine ganze Wagenladung voll Akten in ein Bauernhaus bei Oberreute geschafft. Will man von den Verantwortlichen eine Stellungnahme, wird abgeblockt. Das Imperium schottet sich ab. „Wir werden seit Jahren mit diesen Vorwürfen konfrontiert, wir leben damit“, lautet die knappe Antwort.