Für die FDP geht es ums Überleben

■ Die Liberalen versprechen Steuersenkungen – und hoffen dabei auf begrenzte Rechenkünste der Wähler. Der Flügelstreit ist vergessen – wie die Linken

Im fernen Berlin sehen die Parteifreunde auf jeden Fall einen Anlaß, morgen die Sektgläser zu füllen – offen ist nur, welchen. Unter dem Motto „Entweder wir haben einen Grund zu feiern, oder wir sollten erst recht nicht alleine bleiben ...“ hat der FDP-Landesverband zum geselligen Wahlabend eingeladen.

Der liberale Galgenhumor speist sich aus leidvoller Erfahrung. Gerade sechs Monate ist es her, daß die FDP in der Hauptstadt mit 2,5 Prozent zur Minipartei schrumpfte und damit aus dem 12. von insgesamt 16 Landesparlamenten flog. Am Sonntag könnten die Nummern 13, 14 und 15 folgen. Allein in Hessen wäre die FDP dann noch vertreten, etwas wenig um eine Gesamtpartei republikweit zu reanimieren.

Bedeutsamkeit und Medienpräsenz erhielte sie dann nur noch über ihre Beteiligung an der Bundesregierung: keine gute Ausgangsbedingung, um gegenüber der CDU Profilschärfe zu zeigen.

Die FDP kämpft wieder einmal ums Überleben, entsprechend dramatisch ist die Intonation. Parteichef Wolfgang Gerhard spricht von „Schicksalswahlen“, Generalsekretär Guido Westerwelle sieht die Zukunft des organisierten Liberalismus bedroht.

Für Walter Döring steht zudem die eigene Zukunft auf dem Spiel. Der baden-württembergische FDP-Spitzenkandidat hat im vorigen Jahr seinen Lehrerdienst quittiert, um Berufspolitiker zu werden. Will er in diesem Job Karriere machen, muß er morgen das 5,9-Prozent-Ergebnis der letzten Wahl halten. Die Ausgangsbedingungen dafür sind günstig im Stammland der FDP.

Dörings Handicap ist, daß er für eine Koalition wirbt, von der der Partner, zumindest öffentlich, nichts wissen will. Die CDU setzt auf Alleinregierung. Dörings Vorteil ist, daß die Botschaft der FDP nicht mehr wie bei früheren Wahlkämpfen Zerstrittenheit und Uneindeutigkeit, sondern simpel und klar ist: „Die FDP ist die Steuer- und Abgabensenkungspartei.“

Der rheinland-pfälzische Spitzenkandidat Rainer Brüderle ergänzt bei seinen Wahlkampfauftritten diese eingängige Devise noch um den Kampf gegen Bürokratie und für Deregulierung. Daß der FDP an diesen beklagten Zuständen in Bund und Land ein gehöriges Maß an Mittäterschaft anzulasten ist, stört Brüderle ebensowenig wie Westerwelle, wenn dieser gegen die „Gefälligkeitsdemokratie“ zu Felde zieht.

Der agile General (siehe Seite 11) hat seiner Partei in den letzten Monaten eine rabiate Profilverschlankung verordnet. Mit der Zustimmung zum großen Lauschangriff entledigte sich die FDP im Herbst ihrer Bundesjustizministerin. Seit Leutheusser-Schnarrenbergers Abgang tendiert die Bedeutung der Linksliberalen in der FDP gen Null. Die Kabale der Flügel wurde beendet zugunsten einer Positionierung „rechts von allem, was das derzeitige politische Spektrum in Deutschland anzubieten hat“. Mit diesen Worten qualifizierte Leutheusser-Schnarrenberger das neue Grundsatzprogramm.

„Schuldenstaat vernichtet Zukunft“, „Steuerland ist abgebrannt“, skandieren seidem die liberalen Biedermänner im Vertrauen auf das kurze Gedächtnis und die begrenzten Rechenkünste der Wähler. Ihre Mitverantwortung für die Haushaltslage reduziert sich in den Wahlkampfreden auf den „Erfolg der FPD“ bei der Reduzierung des Solidarzuschlages. Daß diese Einsparung noch ohne Ausgleich in Waigels Bilanz steht, ignorieren die liberalen Steuer-Männer ebenso, wie sie es tunlichst unterlassen, ihre Senkungsvorschläge gegenzurechnen.

Diese Aufgabe hat die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus- Maier übernommen – sie kam auf 60 Milliarden Mark ungedeckter Versprechen der FDP. Das ficht die Liberalen nicht an. Fraktionschef Hermann Otto Solms ist überzeugt, „die Leute finden unsere Steuerpolitik gut“, und die Umfragen scheinen ihm recht zu geben. Um die 6 Prozent pegelt die FDP in den beiden Südländern, allein in Schleswig-Holstein dümpelt sie bei 4 Prozent. Allerdings weiß Solms auch um die Kehrseite der Volksmeinung: „Sie zweifeln, daß wir uns auch durchsetzen.“

Ihre Zweifel könnten die Wähler bereits im Mai bestätigt sehen. Dann wird in Bonn über die Konsequenzen aus der dann vorliegenden Steuerschätzung beraten. Parteichef Gerhard hat noch am Mittwoch versprochen, dabei „den Weg der Einsparung und nicht der Neuverschuldung“ zu beschreiten, eine Mehrwertsteuererhöhung komme „unter keinen Umständen“. Aber Umstände ändern sich bei der FDP ja bekanntlich recht schnell. Dieter Rulff