BSE-Gefahr verschleiert

■ Seehofer ragierte zu spät auf britischen Rinderwahn

Die Bedrohung ist schon lange bekannt. Auch Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer wußte Bescheid. Viele Fakten sprechen seit Jahren dafür, daß die tödliche Rinderkrankheit BSE auf Menschen übertragbar ist. Noch im April 1994 hatte Seehofer selbst im Bundestag vor einer möglichen Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes gewarnt und die Gefahr mit der von Aids verglichen.

Man konnte denken, daß er aus dem Skandal mit HIV-verseuchten Blutkonserven gelernt hatte. Seine Entschuldigung bei den Opfern und die Worte tiefen Bedauerns schienen ernst gemeint. Doch weit gefehlt. Seit der Bundestagswahl im Herbst 1994 hat Seehofer alles daran gesetzt, ein Importverbot von britischem Rindfleisch zu verhindern. Mit mehreren Dringlichkeitsverordnungen stellte er den Bundesrat kalt, der wiederholt den Stopp aller Einfuhren gefordert hatte. Statt dessen setzte er die EU-Vorgaben um, die vor allem die britische Agrarwirtschaft schonen sollten. Seehofer kam sich nicht einmal blöd vor, das als sicheren Verbraucherschutz hinzustellen – obwohl führende Wissenschaftler schon vor Jahren ein solches Vorgehen als „grob fahrlässig“ bezeichnet hatten.

Der Minister aber verließ sich lieber auf den verantwortlichen Fachmann in der zuständigen EU-Generaldirektion, der ausgerechnet aus Großbritannien stammt. Und auch das Wort von Dieter Großklaus im EU-Veterinärausschuß war Seehofer plötzlich wieder teuer, nachdem er ihn noch kurz zuvor wegen des HIV-Bluterskandals als Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes abserviert hatte.

Seehofer hat leichtfertig und wider besseres Wissen die Gesundheit der BundesbürgerInnen aufs Spiel gesetzt und mit dem gestrigen Importverbot für britisches Beef viel zu spät gehandelt. Er wollte keinesfalls eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof riskieren. Auch der Druck seiner KabinettskollegInnen war ihm wichtiger als sein Wissen um die Gefahr für Leib und Leben der Menschen.

Jetzt dürfte ihm deshalb niemand mehr eine emotionsreiche Entschuldigung abnehmen. Und es gibt auch kein Bundesgesundheitsamt mehr, das er auflösen könnte, um die Verantwortung wegzuschieben. Dieses Mal muß er sie selbst tragen.

Annette Jensen