Egozentrische Originalitäten

■ Kultfigur Genesis P. Orridge langweilte im Westwerk

Auf der Bühne zwei Rokoko-Stühle, auf welchen sich zwei Ak- teure verlustieren, indem sie möglichst oft im Sitzen die Beine steil in die Luft strecken. Im Hintergrund eine Leinwand, auf der Zeitungsartikel über den Star des Abends projiziert werden: Genesis P. Orridge, der frühere Vordenker der Extreme-Noise-Gruppe Throbbing Gristle und in den 80ern Initiator des Multimedia-Unternehmens Psychic TV, macht sich auf dem einen Stuhl zu schaffen. Seine Partnerin auf dem anderen, Julie, stellt ihm Fragen: „An was denkst du, wenn du denkst, daß du schläfst?“ Plätschern, Akustikgitarren und mildes Synthesizerblubbern ergänzen Orridges Antwort: „Daran, daß ich ein Kind bin, daß du ich bist und daß alle im Saal ich sind.“

Im nett theaterhaft gemeinten Plausch rekelt sich Julie auch zu etwas Ambition durch: „Ich wünschte, wir könnten etwas sagen, das von Bedeutung ist.“ Darauf Orridge leidlich sympathisch: „Wovon sprichst du?“

Nach und nach stellte sich beim Zuhörer des beschaulichen Geschehens im Westwerk der Eindruck ein, daß die beiden Briten ihre Version von Liaisons dangereuses geplant hatten, jedoch im Lauf der Inszenierung unfreiwillig bei Der neunzigste Geburtstag landeten und schließlich als Vladimir und Estragon so taten, als hätte man sich von dem Druck befreit, annehmen zu müssen, daß Godot noch kommt.

Übrig blieb bei Orridge und Partnerin das Verlangen, „besonders“ aufzutreten. Tatsächlich konnten beide für sich in Anspruch nehmen, nach dem Lebensmotto Tristan Tzaras „klein, idiotisch und köstlich“ gewesen zu sein. Das hätte den auf der Leinwand ab und zu herumspukenden William Burroughs sicher ein paar Male zum Schmunzeln gebracht. Überväter vergehen wohl nicht. Selbst wenn ihre Fans, längst selbst Überväter geworden, auf recht durchschaubare Art egozentrisch agieren.

Kristof Schreuf