Mit der Flut kommt der Stint

Wer dieser Tage abends bei auflaufendem Wasser an der Weser entlanggeht, staunt über die vielen alten und etwas jüngeren Männer, die reglos mit einer langen Leine in der Hand am Ufer stehen. Irgendwann, niemand kann das vorhersehen, ziehen sie die Leine ganz schnell aus dem Weserwasser. In einem Korb zappelt er: der Stint. Manchmal auch drei, vier oder mehr. Die Männer nehmen jeden Fisch in die Hand, hauen ihn auf den Rand eines Eimers und legen ihn zu den Leidensgefährten. Zwei Zehnlitereimer Stint schleppt der Stintangler am Abend locker nach Hause.

Die alten Nachbarn des arbeitslosen Herbert K. (55) fragen seit Wochen: „Sind schon Stinte da?“ Jetzt sind sie da. Sie sind nicht jedermanns Sache. In jedem 30. ist ein Wurm, dünn wie ein Zwirnsfaden, zwei Zentimeter lang. Herr K. beruhigend: „Der kommt raus, wenn man den Fisch in Salz legt.“ Der Fisch wird ausgenommen, abschuppt, gern in Ei gewälzt, paniert und in Butter gebraten. Zehn Große schafft Herbert K. in einem Rutsch.

Zum Stintangeln bedarf es eines gültigen Angelscheins und eines zusätzlichen „Senkscheins“. Der heißt so, weil der große, mit Blei beschwerte Käscher „Senke“ genannt wird; er kostet 20 Mark und wird im Fischgeschäft an der Bischofsnadel ausgegeben.

Noch bis Mitte April gibt es Stint in der Weser. Der Grund: Der Stint kommt in diesem Zeitraum zum Laichen aus der Nordsee nach Bremen. Am Weserwehr ist basta, weiter kann er nicht. Bei den Fischtreppen legt er seine Eier in den Kies. Da er tonnenweise kommt, ist für alle Angler Stint satt da in dieser Zeit. Den Höhepunkt der Stintdichte erwartet Herbert K. in zwei Wochen.

Und was um Gottes Willen macht Herbert K. mit zwei Eimern Stint pro Tag? „Ich habe eine große Familie. Die Nachbarn freuen sich schon. Und der Bekannte, der mein Auto repariert, kriegt jedes Jahr zwei Eimer.“

BuS / Foto: Kay Michalak