: Tödliche Falle für Fische
■ Warum Sportfischer eine halbe Tonne Fisch-Kadaver aus dem Wallgraben holten mußten
Bis zu den Hüften steht Tina Stutzinger im eisigen Wasser des Wallgrabens. Mit den spitzen Zinken einer Dungharke, die aussieht wie eine übergroße Mistforke, zerschlägt sie die Eisdecke und puhlt eingefrorene Fische aus ihrem kühlen Grab. Ihre dünnen Gummihandschuhe sind zerissen. Unter dem Daumen der linken Hand klafft ein fünfmarkstückgroßes Loch, das den Blick auf ihre feuerrot gefrorene Haut freigibt. Mit Schwung schmeißt die Gewässerschützerin vom Sportfischer-Verein Bremen einen halb vergammelten Aal ans Ufer. Der Fisch landet direkt vor den Füßen der staunenden Passantin, die Sekunden später ihre Nase rümpft und sich angewidert umdreht. Der Aal hat nur noch ein Auge, das trübe ins Leere starrt. Von der anderen Hälfte des Kopfes ist nichts weiter übrig, als ein dunkelgrüner Brei. Fäulnis beißt sich in die Nase.
„Kein schöner Job“, stellt Tina Stutzinger nüchtern fest, während sie einen stark verwesten Karpfen aus dem Eis kratzt. Erst vor einem Monat ist die 30jährige Sozialpädagogin zu den Sportfischern gestoßen. Ihr lieber Freund hat sie animiert, den Samstag morgen mit ihm im Wallgraben zu verbringen. (Wenn das keine wahre Liebe ist...)
Über eine halbe Tonne (680 Kilo) Fischkadaver haben Tina Stutzinger und zwölf andere Mitglieder des Sportfischer-Vereins Bremen am Samstag aus dem Wallgraben „gefischt“. Der Verein hat die Fischereirechte für das Gewässer gepachtet. „Wir fühlen uns deshalb in der Pflicht, uns um den Wallgraben zu kümmern“, betont Jens Kölling, Naturschutzreferent der Sportfischer. Die Karpfen, Aale, Schleihen, Zander, Hechte, Rotaugen, Rotfedern und Brassen sind seiner Einschätzung nach dem langen Winter zum Opfer gefallen: Die geschlossene Eisdecke wurde für die Fische zu einer tödlichen Falle. Der Sauerstoff sei knapp geworden – erklärt Kölling. Schlamm und Laub hätten den kargen Vorrat außerdem aufgezehrt und den Fischen so die Luft abgedrückt. „Die sind schlichtweg erstickt“, bestätigt auch Jan-Uwe Reiff, der Gewässerschutzreferent der Sportfischer.
„Das ist nichts Besonderes“, schränkt Reiff ein. „Fische sterben jedes Jahr. Aber das hier ist eine Katastrophe.“ Fünf Prozent der Fische überlebten den Winter in der Regel nicht. „Doch in diesem Jahr sind 50 bis 70 Prozent eingegangen“, schätzt Reiff. Daran sei nicht zuletzt der ständig sinkende Wasserspiegel des Wallgrabens schuld. Das Gitter an einem Zufluß zum Wallgraben in Höhe des Gerhard-Marcks-Hauses sei mit Laub „völlig verstopft“ gewesen, erinnert sich Kölling. Schon vor Wochen habe er die Behörde darauf aufmerksam gemacht. „Doch geschehen ist nichts“, ärgert sich der passionierte Angler. Schließlich griff er selbst zum Spaten und schaufelte das Gitter frei. Doch obwohl das Wasser dann wieder in den Graben fließen konnte, „war es für einen Großteil der Fische zwischen Herdentor und Stefanieviertel schon zu spät.“
Auch das Staubrett an der Brücke Herdentor ist dem Sportfischer ein Dorn im Auge. „Das muß weg. Das Wasser staut sich, und die Fische können da nicht durch. Das wirkt sich auch auf den Fischbestand aus.“
Um den muß sich der Sportfischer-Verein jetzt besonders kümmern. Im Schnitt setzt der Verein jedes Jahr 200 bis 300 Karpfen, 200 bis 300 Schleihen und über 1.000 Hechte im Wallgraben aus. Wieviele Fische nach dem großem Fischsterben ausgesetzt werden sollen, muß erst noch errechnet werden. Außerdem wollen die passionierten Angler abwarten, wieviel toten Fisch sie nächstes Wochenende aus dem Wallgraben bergen. Freiwillige Helfer sind übrigens herzlich willkommen. Gummihandschuhe werden gestellt. Nasenklammern müssen mitgebracht werden.
Am Ufer des Wallgrabens steht Samstag mittag noch ein einsamer, schwarzer Kübel – randvoll mit toten Fischen. Die restlichen Kadaver haben im Sammelcontainer von Stadtgrün ihre vorerst letzte Ruhestätte gefunden. Verwesungsgeruch liegt in der Luft. Die Sportfischer scheint das nicht zu stören. Sie verschnaufen bei Cola und Mettwurstbrötchen. „Fischen ist ein schönes Hobby“, schwärmt Kölling, der von Beruf Koch ist. „Man genießt die Natur, ist an der frischen Luft. Außerdem esse ich gerne Fisch.“ Unwillkürlich fällt sein Blick auf den schwarzen Kübel. „Aber danach ist mir nun heute wirklich nicht mehr.“
Kerstin Schneider
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