Wenn Kinder zu sehr knuddeln

■ ... dann muß Teddy leiden: In der ersten Bärenklinik in Bremen werden Platzwunden und Knopfaugen verarztet

Die Patientenkartei liest sich dramatisch. Alter: 70 Jahre. Geburtsort: Gieningen. Name: Pu der Bär. Befund: Blindheit auf beiden Augen, Amputation des rechten Armes und diverse Schürfwunden. Ob das wieder wird, in diesem Alter? Die Angehörigen sind schier verzweifelt. Ihre letzte Rettung in dieser Situation ist Nicole Mehmke, Doktorin in der Bremer Bärenklinik. Sie hat sich auf die Restauration von alten Teddybären spezialisiert und die erste Bärenklinik in Bremen eröffnet. Ihr häufigster Befund bei den Teddys der Stadt: „abgeliebter Zustand“.

Durch jahrelanges Knuddeln, Umarmen und In-den-Schlaf-Wiegen nimmt der Spielkamerad Patina an. „Die richtigen Bären haben Charakter“, sagt Nicole Mehmke „im Laufe der Jahre haben sie einen so eigenen Ausdruck bekommen, daß sie kaum noch an die ursprünglichen Bären erinnern.“ Ein richtiger Teddy durchlebt mit seinem Freund die Höhen und Tiefen der Kindheit. Kein Wunder, daß das Spuren hinterläßt. All die Tränen über aufgeschlagene Knie und einsame Nächte, wenn Alpträume schreckten, aber auch die geteilten Freuden wie Schokoladeneisschlecken sind ein für alle Mal im Fell getrocknet. Schmuddelige Bakterienträger? Nicht mal den Gedanken würden Teddyeltern wagen. Sie sprechen vom würdevollen Alter des Bären. Nun, wo ihnen die Haare ausfallen, ähneln manche sogar denen, die sie liebten. „Manche haben die gleichen Halbglatzen.“

Mittlerweile hat Nicole davon einiges mitbekommen. In ihrer Bärenklinik repariert sie die Wunden, die die mit Holzwolle ausgestopften Bären nun tragen. Neue Pfoten aufsticken kostet 5 Mark, einen ganzen Arm ersetzen so um die 30 Mark. Dafür sitzt die Bärendoktorin stunden- und tagelang an den Reparaturarbeiten. Der alte, ausgeblichenen Stoff, passend zum alten Teddy, muß erst einmal gefunden werden. Dafür aber müssen Flohmärkte abgeklappert werden, und dann stellt sich auch noch die Frage nach dem richtigen Schnittmuster für ein fehlendes Körperglied. Da lohnt es sich kaum noch zu rechnen, denn „mehr als 50 Mark zahlt eh keiner für die Restauration des alten Teddys.“

Die Hoffnung auf großen Verdienst war auch kaum Anlaß bei Nicole Mehmke, das Ladengeschäft zu eröffnen. Sie steckt noch mitten in ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften. Halbtags arbeitet sie als Buchhalterin und Assistentin des Chefs in einer Werbeagentur. Da sind die Bären eine willkomme Abwechslung, etwas fürs große Herz der 22jährigen.

Umsatz mit der immer noch ungebremsten Sammelleidenschaft für alte Teddys machen andere. Sotheby's zum Beispiel. Dort wurde der teuerste Teddy der Welt mit Namen „Happy“ für 300.000 Dollar versteigert. Das ist bis jetzt die Spitze des Booms, der nicht abflauen will. 1986 durch den Verkauf eines antiken Bären für einige Tausende von Mark in Gang gesetzt, brach eine Welle aus und schwappt bis heute. Nicole Mehmke sagt: „Die Leute merkten plötzlich, was sie da auf dem Sofa sitzen hatten. Mittlerweile sind die Märkte leer gekauft und nur noch völlig überteuerte Modelle zu erhalten.“ Nicole, die selbst erst vor vier Jahren ins bärige Business eingestiegen ist, liest mittlerweile die Fachpresse, studiert Enzyklopädien und hat hunderte von Bärenmodellen im Kopf. Ihre Spezialität: die Schätzung alter Teddybären. Schließlich ist Teddy nicht gleich Teddy. Je nach Zustand und Seltenheitswert können auch in Deutschland fünfstellige Preise erzielt werden.

Doch auch, wenn astronomische Summen gezahlt werden: Immer gibt es nur einen Grund, so viel Geld zu investieren: „Man muß sich in die Bären verlieben“, meint Nicole Mehmke. Schon bei der Entstehung des Teddybären war ein Schuß Emotionalität im Spiel. Der Legende nach geht die zünden Idee auf das Jagdglück des amerikanischen Präsidenten F.D. („Teddy“) Roosevelt zurück. Der hatte als passionierter Jäger bei einer hohen Staatsbesuch darum gebeten, auch zu einer Jagdpartie geladen zu werden. Doch als er den Jungbären sah, konnte er es einfach nicht übers Herz bringen, ihn zu erschießen. Und seitdem ist der Jungbär mit den beweglichen Gelenken einer der beliebtesten Lebensabschnittspartner.

Bevor Margarete Steiff die berühmten Bären mit dem Knopf im Ohr als Kommissionsware in einem Schreibwarengeschäft verkaufen konnte und in Deutschland den Grundstein für das Steiff-Imperium legte, mußte natürlich die Idee geboren werden. Steiff, bislang auf die Herstellung von Nadelkissen spezialisiert, sattelte um und erstellte 1903 einen Prototyp.

Der heute in vielen Variationen den schmusebedürftigen Menschen zur Seite steht. Wer sich allerdings mit 40 Jahren gar nicht von seinem Bären trennen kann, dessen Tier wird sicher der Restauration bei der Bärendoktorin bedürfen. „Nach 40 Jahren“, sagt diese, „da hält oft nur ein dünnes Gespinst aus Webgrund dem immergleichen Druck der zusammengepressten Holzwolle stand“.

Mancher ältere Herr hat schon zaghaft den abgewetzten Kameraden der Kindheit in der Bärenklinik abgegeben. Und jedes Mal gibt es ein Drama. Denn niemand, der seinen Bären so lange aufgehoben hat, der ist es gewöhnt, ihn aus der Hand zu geben. Am schlimmsten aber trifft es Kinder. „Oft sieht man schon, wenn sie in den Laden kommen mit einem kaputten Teddybär, jetzt ist eine Welt zusammengebrochen, und nichts wird sie trösten können. Ich mache dann immer eine Ausnahme, setzte mich sofort hin, um den Schaden zu reparieren. Kinderbären sind Notfallpatienten.“ Susanne Raubold