Müllverbrennung auf dem Prüfstand

Umweltsenator Peter Strieder (SPD) will über thermische Abfallbehandlung erneut diskutieren lassen. Widersprüchliche Angaben über einen Aufschub für geplante Standorte in Berlin  ■ Von Kathi Seefeld

Die in der letzten Legislaturperiode getroffene Entscheidung für die Verbrennung von Müll wird in der Senatsverwaltung für Umweltschutz überdacht. Anders als sein Vorgänger Volker Hassemer (CDU) will Umweltsenator Peter Strieder (SPD) keine schnellen Entscheidungen zugunsten der Berliner Müllverbrennungslobby.

Im Gespräch mit der stadtweiten Bürgerinitiative gegen Abfallverbrennung „Mi(e)f“ erklärte Strieder, daß sowohl Standort- als auch Technologiefragen nach wie vor offen seien. Verträge, die Berlin verpflichteten, BSR und Bewag für ihre geplanten Anlagen in der Neuköllner Gradestraße und am Lichtenberger Blockdammweg in den nächsten zwanzig Jahren die Lieferung bestimmter Abfallmengen zu garantieren, werde es nicht geben.

Statt dessen solle die fachliche Diskussion darüber verstärkt werden, wie die Stadt angesichts von Sparzwängen und vor dem Hintergrund der „Technischen Anleitung Siedlungsabfall“ (TASi) spätestens ab dem Jahr 2005 ihr Müllproblem lösen kann. Danach darf auf Deponien nur noch gelagert werden, was maximal fünf Prozent feuchte oder noch brennbare Bestandteile enthält und somit keine gefährlichen Säuren oder Gase bilden kann.

Um diese Voraussetzungen zu erfüllen, muß thermisch behandelt werden, lautete bislang der Senatskurs. Nunmehr einen Richtungswechsel in Berlins Müllpolitik auszumachen scheint trotz Strieders Forderungen allerdings verfrüht. So verschoben die Berliner Stadtreinigungsbetriebe in Sachen Gradestraße ihre Entscheidung über „grünes Licht zur Einleitung des Genehmigungsverfahrens“ zwar unerwartet auf den Monat Mai. BSR-Sprecher Bernd Müller sagte jedoch, daß Diskussionsbedarf lediglich „hinsichtlich des nächsten Genehmigungsschrittes, die Auswahl der Technologie betreffend“ bestehe.

„Thermoselect oder Siemens- Schwelbrandverfahren“ lautet die Frage. Am „Ja“ zur thermischen Abfallbehandlung ist nach Ansicht Müllers nicht zu rütteln. „Im Koalitionsvertrag ist Entsprechendes festgeschrieben.“ „Mi(e)f“-Aktivist Thomas Kreutzer hält die Koalitionsvereinbarung für auslegbar. „Dort ist nicht ausschließlich von Verbrennung die Rede, sondern von Abfallentsorgung einschließlich thermischer Müllbehandlung.“ Durch die Existenz und den Ausbau von Berlins bislang einziger Müllverbrennungsanlage in Ruhleben werde diesem Anspruch bereits Genüge getan.

Das von den Verbrennungsgegnern favorisierte mechanisch-biologische Verfahren wird auch vom Länder-Ehepartner Brandenburg bereits angewendet und soll über 2005 hinaus praktiziert werden. Die Kosten liegen bei etwa 60 bis 70 Prozent im Vergleich zur Müllverbrennung. Das Betreiben dezentraler und kleiner mechanisch- biologischer Anlagen hat, so Thomas Kreutzer, außerdem den Vorteil, daß Müllvermeidung für die Bevölkerung weiterhin sinnvoll bleibt. „Steht dagegen erst einmal eine Müllverbrennungsanlage, muß sie aus Wirtschaftlichkeitsgründen immer auch mit den entsprechenden Mengen versorgt werden.“

Eine im Umweltausschuß des Abgeordnetenhauses präsentierte und unter Hassemer in Auftrag gegebene Konzeptstudie zu den „Möglichkeiten und Auswirkungen des Einsatzes von mechanisch- biologischen Behandlungsverfahren“ sei kaum aussagekräftig, meint die umweltpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Judith Demba. Das Material basiere auf Zahlen des Jahres 1992. Betrachte man den derzeitig langsamen Bevölkerungszuwachs und die Entwicklung der Müllmengen, könne man nur zur Erkenntnis kommen: Die Nutzung biologisch-mechanischer Anlagen und die ausgebaute Müllverbrennungsanlage in Ruhleben reichten vollkommen aus.

Auf offene Ohren in Berlin könnte neben der verstärkten Nutzung mechanisch-biologischer Anlagen noch ein weiteres Angebot aus Brandenburg stoßen. Das „Sekundärrohstoff-Verwertungszentrum“ (SVZ) in Schwarze Pumpe, der zu DDR-Zeiten wohl berühmt-berüchtigtste Standort für Braunkohleveredlung, ist nach Aussagen des Geschäftsführers Björn Engel bereits da, „wo andere erst hinwollen“.

Das Unternehmen, das die Berliner Wasserbetriebe 1994 von der Treuhand erwarben, um die Klärschlämme der Stadt zu entsorgen, sieht sich in der Lage, künftig auch Berlins Siedlungsmüll in Gas zu verwandeln. Dabei könne wie früher aus der Braunkohle nun aus Müll Energie erzeugt werden. Methanol, das bei dem Vergasungsprozeß außerdem anfalle, würde in der Arzneimittelindustrie oder bei der Möbelherstellung weiterverwertet. Die Akzeptanz der Bevölkerung in Schwarze Pumpe sei enorm, wirbt der Geschäftsführer. „Alle 14 Tage treffen wir uns zu einem Umweltausschuß. Daten werden transparent gemacht.“ Alle einschlägig bekannten Grenzwerte würden in Größenordnungen unterschritten.

220.000 Tonnen Müll könne das SVZ jährlich abnehmen, die Kosten pro Tonne würden deutlich unter denen der in der Gradestraße geplanten Müllverbrennungsanlage liegen. „Die Genehmigung für einen Dauerbetrieb in den nächsten 30 Jahren haben wir bereits.“

Der Gedanke, daß mit dem Einstieg der Berliner-Wasserbetriebe- Tochter SVZ ins Müllgeschäft eine innerstädtische Abfallverwertung überflüssig werden könne, begeistert selbst die Berliner „Mi(e)f“- Aktiven. Zwar bezweifle man, so Kreutzer, daß sich das ehemalige Schwesterunternehmen der Wasserbetriebe, die BSR, so einfach aus dem Feld schlagen lasse: „Doch in Berlin ist derzeit so viel in die Diskussion geraten, warum nicht auch die Müllverbrennung.“