Press-Schlag
: Sekunde der Wahrheit

■ Mißerfolg gebiert Ehrlichkeit

Es gibt sie doch noch, die Ehrlichkeit im Profifußball. Zum Vorschein kommt sie aber erst in Situationen der Not, der Verzweiflung und der nackten Angst. Dann vergessen die smarten Elitekicker und -trainer ihre langweiligen rhetorischen Floskeln. Der dünne Lack bröckelt ab, und für einen Moment blitzt sie auf, die unverfälschte Wahrheit.

Diese Momente sind besonders wertvoll in einer Zeit, in der selbst der einfältigste Innenverteidiger, ohne zu stocken, einen Satz wie „Ja gut, ich sag' mal, das eine oder andere Tor hätten wir noch machen müssen, dann kamen die individuellen Fehler, so daß wir letztendlich verdient verloren haben“, fehler-, akzent- und dialektfrei aussprechen kann.

Zuerst hatte der Allerschnellste den rhetorischen Turbo überladen, indem er auf eine der üblichen Allerweltsfragen die einzig passende und wahre Antwort gab. „Das ist eine Scheißfrage“, bellte Andy Möller ins Mikrophon, nur um dem sichtlich erleichterten Journalisten sogleich in gewohnter Manier zu erklären, was er alles damit sagen und nicht sagen wollte, die philosophische Klarheit seiner spontanen Antwort nachträglich vernebelnd.

Am letzten Samstag zogen nun die Trainer nach. Friedel Rausch mochte sich angesichts seiner drohenden Arbeitslosigkeit nicht mehr an die Konventionen des seichten Schwadronierens über Einwechslungen und Standardsituationen halten und nutzte die Bildschirmpräsenz, um eine Generalbewerbung an potentielle Arbeitgeber loszuwerden. Er sei mit 56 Jahren auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit, fühle sich topfit und könne sich vorstellen, eine Bundesligaelf erfolgreich zu trainieren. An dieser Stelle ist ausnahmsweise Moderator Reinhold Beckmann zu loben, der Rauschs wenig verdeckte Strategie vollends enttarnte.

Noch um eine Nuance strahlender war der Auftritt des Frankfurter Trainers Karl- Heinz Körbel nach dem 0:6 gegen Dortmund. In Umkehrung der Möllerschen Dynamik von Mißerfolg und Wahrheit setzte er zunächst zu einer der üblichen Erklärungen an, driftete noch im ersten Satz zu einer prophylaktisch defensiven Haltung gegen die zu erwartende Schelte ab („... das Schlimmste wäre jetzt, die Mannschaft zu kritisieren“), ehe ihn, immer noch mitten im ersten Satz, die nackte Angst um den Job vollends aus der Kurve trug („... oder die Schuld beim Trainer zu suchen“). Das war schon herzallerliebst.

Mit einem Mal war der Schleier des inhaltslosen Dauergequassels um den Fußball zerrissen, Charly, die ehrliche Haut, hatte uns eine Sternsekunde der Wahrheit beschert. Dies war einer der Momente, für die sich 80 Minuten Langeweile, Geschwätz und Werbung manchmal doch lohnen. Joachim Frisch