Gerry Adams sieht seinen Tag kommen

Parteitag der IRA-Partei Sinn Féin in Dublin: Die meisten Delegierten halten den Friedensprozeß in Nordirland für gescheitert. IRA streut Gerüchte über neuen Waffenstillstand  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Wenigstens war der Ort historisch: Der 90. Parteitag von Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA, fand am Wochenende im „Round Room“ des Dubliner Rotunda-Krankenhauses statt, des ersten Entbindungskrankenhauses der Welt. In diesem Saal, heute ein Kino, ist Sinn Féin im November 1905 gegründet worden. 1913 formierten sich hier die Irish Volunteers, aus denen später die IRA wurde. Und nach dem gescheiterten Osteraufstand vor 80 Jahren internierte man die Rebellen im Garten hinter dem Round Room.

Am Wochenende wurde keine Geschichte geschrieben. „Viele werden in meiner Rede nach Hinweisen suchen, daß die IRA ihren Waffenstillstand erneuern wird“, sagte Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams den 800 Delegierten in seiner Rede am Samstag. „Sie sollten wissen, daß dies nicht der Weg für eine solche Erklärung ist.“

Die Zeiten sind vorbei, als ein maskiertes IRA-Mitglied auf Sinn- Féin-Parteitagen eine Grußbotschaft verlas. Diesmal blieb die IRA zu Hause. Die Ernüchterung über den Friedensprozeß breitet sich immer mehr aus, das Mißtrauen gegenüber der britischen Regierung ist größer denn je. Eine Umfrage unter den Parteitagsdelegierten hat ergeben, daß 85 Prozent das Ende der IRA-Waffenruhe im Februar begrüßt haben. „Die Reden sind reine Zeitverschwendung“, sagte einer, „der Friedensprozeß ist am Ende.“

Erst am Donnerstag hat Premierminister John Major erneut unter Beweis gestellt, daß er nicht gewillt ist, den Unionisten einen Wunsch abzuschlagen. Seine Pläne für die nordirischen Wahlen decken sich weitgehend mit dem Vorschlag der Ulster Unionist Party, von deren 9 Abgeordneten Majors Schicksal im Unterhaus abhängt. So soll am 30. Mai in 18 Wahlkreisen Nordirlands nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt werden. Neben den fünf Abgeordneten aus jedem Wahlkreis schicken die zehn stärksten Parteien jeweils zwei Vertreter in die Versammlung. Damit will man sicherstellen, daß Kleinstparteien wie die politischen Flügel der protestantischen Paramilitärs nicht leer ausgehen. Darüber hinaus soll die Versammlung nicht nur einer „demokratischen Legitimation für die Teilnahme an Allparteiengesprächen“ dienen, wie es bisher geheißen hatte, sondern parallel dazu tagen.

Nicht nur Sinn Féin, sondern auch die katholischen Sozialdemokraten von der SDLP sehen darin eine Rückkehr zum alten Stormont-Regime, als die Unionisten bis zur Auflösung des Regionalparlaments 1972 ihre Mehrheit rücksichtslos ausnutzten. Trotzdem denken weder SDLP noch Sinn Féin an einen Boykott der Wahlen.

Es war ein Parteitag der Gratwanderung: Adams versucht, den Friedensprozeß zu neuem Leben zu erwecken, ohne diejenigen in den eigenen Reihen zu verprellen, die jeglichen Glauben daran verloren haben. Wichtiger ist jedoch, was am Rande des Parteitages durchgesickert ist: Offenbar zieht die IRA einen neuen Waffenstillstand in Erwägung. Bedingung ist aber, daß die britische Regierung ihre Forderung nach Ausmusterung der Waffen aufgibt – weder vor den Allparteiengesprächen, noch parallel dazu.

Gerry Adams beendete seine Rede mit dem alten IRA-Schlachtruf: „Tiocfaidh ár lá“ – unser Tag wird kommen.