Hoechst wird Pharmakonzern

Größter deutscher Chemiekonzern konzentriert sich auf Pharmasparte. Wird Tochter Hoechst Marion Rousell neue Konzernmutter?  ■ Von K.-P. Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – Auch wenn Konzernsprecher Friedmar Nusch die Herauslösung der lukrativen Pharmabereiche aus dem Chemiekonzern Hoechst kürzlich noch als „Überinterpretation“ dementierte, beim größtewn deutschen Chemiekonzern denkt man an die Scheidung.

Hoechst-Chef Jürgen Dormann selbst hat die Trennung angekündigt, die Pharmasparte seines Konzerns sei „langfristig gesehen“ im Konzernverbund mit der alten Chemie nicht „komfortabel aufgehoben“. Hoechst folgt mit dieser Ankündigung dem internationalen Trend, die profitablen Pharmasparten aus den großen alten Chemiekonzernen auszugliedern, um als Pillendreher Geld zu verdienen. Frohlocken können dann die Aktionäre des Pharmakonzerns, deren Kurse und Dividenden nicht mehr von den Verlusten aus anderen Bereichen geschmälert werden.

Von der Konzentration auf den Pharmabereich hat Dormann nicht nur geredet. In den vergangenen zwei Jahren sind bei Hoechst wichtige Weichen bereits gestellt worden. Der gesamte Pharmabereich des Konzerns Hoechst wird bis Ende 1996 unter einem eigenen Konzerndach zusammengefaßt werden: Hoechst Marion Roussel (HMR) heißt das Unternehmen, in dem die Pharmabereiche von Hoechst, Marion und der französischen Tochter Roussel Uclaf integriert werden.

Mit Hoechst Marion Rousell, sagt Peter Ladell, Leiter der Abteilung Nordamerika von HMR, entstehe ein „globales, multikulturelles Pharmaunternehmen“. Und seine Firma bringe alle Voraussetzungen dafür mit, in nur wenigen Jahren die angestrebte Führungsposition im Gesundheitssektor weltweit zu erreichen. In New Jersey errichtet HMR derzeit ein Entwicklungszentrum zur „weltweiten Beschleunigung der Produktentwicklung- und -zulassung“.

Entwicklungszentrum in New Jersey

Der größte Coup von Dormann auf dem Weg zur angestrebten Spitzenposition auf dem Weltmarkt im Pharma- und Gesundheitsbereich war der Erwerb der US-amerikanischen Pharmafirma Marion Merrell Dow (Marion), für die Hoechst im vergangenen Jahr 9,9 Milliarden Mark hinblätterte.

Neben Marion kaufte Hoechst im vergangenen Jahr den US-Diagnostikahersteller Syva und bildet mit der französischen Plasmafirma Rhône-Poulenc Rorer unter dem Namen Centeon ein Joint-venture. Mit Centeon, heißt es im Geschäftsbericht 1995 der Hoechst, entstehe der weltweit führende Anbieter von Plasmaprodukten mit einem jährlichen Umsatzvolumen von 1,7 Milliarden Mark. Und für das Arbeitsgebiet Impfstoffe plant Hoechst ein Joint-venture seiner Tochter Behring mit dem US-Unternehmen Chiron.

Im Gegenzug hat sich Hoechst im vergangenen Jahr von Firmen getrennt, die nicht in das von Dormann entworfene Konzept der Konzentration auf die Kerngeschäfte passen. Verkauft wurden die Kosmetikgesellschaften Schwarzkopf, Jade und Marbert sowie die Firma Riedel de Haen, ein Hersteller von Spezialchemikalien.

In diesem Jahr wirksam werden bereits die vertraglich vereinbarten Veräußerungen des gesamten Druckplattengeschäfts, der Hoechst Ceram Tec (technische Keramik) und der Spezialphosphatenfirma BK Ladenburg. Für das Anlagenbauunternehmen Uhde sucht Hoechst noch einen Käufer.

Während der Umsatz von Hoechst in den Bereichen Chemikalien, Spezialchemikalien und Fasern – den klassischen Arbeitsfelder der Farbwerke Hoechst – stagniert, steigt er im Pharma- und Gesundheitsbereich kontinuierlich an (plus 14,5 Prozent). Schon heute beträgt der Anteil am Konzernumsatz 24 Prozent. Und weil Hoechst 1995 im Bereich Pharma- und Gesundheit soviel investierte wie in den genannten, klassischen Bereichen zusammen, wird der Chemiekonzern in den kommenden Jahren tatsächlich immer mehr zum weltweit operierenden Pharma- und Diagnostikkonzern avancieren.

„Märkte mit Wachstumspotentialen“ (Dormann) sollen dabei vordringlich von Europa und den Vereinigten Staaten aus erobert werden: China, Indien und auch alle anderen asiatischen Länder. Denn Asien so Dormann, sei eine Region mit großer strategischer Bedeutung.

Pharmasparte „zur Zeit“ noch nicht an die Börse

Also weg mit den stinkenden und ab und an explodierenden, das Image von Hoechst negativ tangierenden Chemieküchen? Hin zum sauberen, im Dienste der Wohlfahrt der Menschheit stehenden Pharma- und Gesundheitskonzern mit Spitzenposition am Weltmarkt? Alles deutet auf eine solche Entwicklung hin. Kursierende Gerüchte, wonach Hoechst mit seinem neuen Pharma- und Gesundheitskonzern im Konzern, Hoechst Marion Roussel (HMR), schon in diesem Jahr mit eigenen Aktien an die Börse zu gehen gedenkt, wurden von Dormann nur halbherzig dementiert: „Roussel ist an der Börse. Daran ändert sich in der nächsten Zeit (!) nichts.“

Sehr viel eindeutiger hatte Dormann dagegen erklärt, daß marode Produktionsstätten für Fasern und Chemikalien vor allem im Stammwerk in Höchst und in Griesheim aus ökologischen und ökonomischen Gründen zur Disposition stünden – allerdings nicht vor dem Jahr 2000. Und nach der Jahrtausendwende? Dann dürfte es tatsächlich einen Weltkonzern mit dem Namen Hoechst Marion Roussel (HMR) geben mit einem dann stark geschrumpften Chemikalien- und Spezialchemikalienbereich.

Am Standort Deutschland? Nicht unbedingt. Hoechst-Vorstandsmitglied Karl Gerhard Seifert bekannte jüngst in der Betriebszeitung (1/96) freimütig: „Die Entwicklung der pharmazeutischen Industrie wurde in der letzten Zeit in Deutschland weiß Gott nicht gefördert. Sowohl von Staats wegen als auch im Bewußtsein der Bevölkerung hat etwa die Gentechnik immer wieder einen Dämpfer bekommen. Warum sollte dann die Pharmaindustrie nur in Deutschland investieren? Das wäre ja verrückt.“