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Stasi schützte KZ-Aufseherin

Weil zwei grüne Landtagsabgeordnete nicht lockerließen, ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft Hof gegen eine in Berlin-Pankow lebende Rentnerin. Zeugen werfen ihr Mord und Totschlag vor  ■ Von Bernd Siegler

Jahrelang konnte die 72jährige Ingeborg Aßmuß geb. Schimming ihr Rentnerdasein in Berlin-Pankow genießen. Niemand wußte von ihrer Vergangenheit als berüchtigte Aufseherin im KZ Helmbrechts in Oberfranken. Ein Haftbefehl der bundesdeutschen Justiz juckte sie ebensowenig wie ein Auslieferungsbegehren der tschechischen Behörden. Sie genoß den Schutz der Stasi. Doch mit der Öffnung der Grenzen und der Akten war dies vorbei – jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Hof gegen die ehemalige SS-Frau, ob die ihr vorgeworfenen Taten als Mord zu werten und damit nicht verjährt sind. Für den Leitenden Oberstaatsanwalt Heinz-Bernd Wabnitz ist ein Ende der Ermittlungen noch nicht in Sicht. „Wir sind verpflichtet, allen Hinweisen nachzugehen, auch wenn die Beweislage schwierig ist.“

In mühseliger Kleinarbeit hatte sich zunächst Staatsanwältin Ursula Solf von der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Verfolgung von NS-Verbrechen“ in Ludwigsburg durch die Aktenkilometer in der Gauck-Behörde gewühlt. Im November 1994 stieß sie schließlich auf Schimming. „Daß ich die noch gefunden habe, hat mich wirklich gefreut.“

Der Rentnerin werden schwere Straftaten zur Last gelegt, die sie als Aufseherin im Frauen-KZ Helmbrechts begangen haben soll. Im Februar 1945 soll sie zusammen mit anderen SS-Wachen die Ärztin Alexandra Jakoblena Samoylenko geschlagen, getreten und schwer verletzt in einer Waschküche liegengelassen haben. Die 47jährige Ärztin starb noch in der gleichen Nacht.

Am 13. April 1945, zwei Tage bevor die US-Truppen in Helmbrechts eintrafen, wurde das KZ geräumt. 1.073 weibliche Häftlinge wurden auf einen qualvollen Marsch nach Prachatitz im Böhmerwald getrieben. Hinrichtungen begleiteten ihren Weg. Auch Schimming soll getötet haben. Das berichten Überlebende noch heute, wie Recherchen des Journalisten Frank Berger vom Ostdeutschen Rundfunk ergaben.

Auch im Prozeß gegen den Lagerkommandanten Alois Dürr 1969 in Hof fielen entsprechende Aussagen. Zum Beispiel von Chana Kotlicki, die heute in Israel lebt und sich noch gut an den Todesmarsch erinnert: „Auf dem Marsch hielt ich die Polin Bassia Wechsler an der Hand, weil sie schon sehr schwach war. Plötzlich kam Inge Schimming, riß mir die Bassia förmlich aus den Händen und zog sie in ein Gebüsch. Dann knallte ein Pistolenschuß. Inge Schimming kam aus dem Gebüsch. Bassia Wechsler nicht.“ Dies geschah in der Nähe von Seulbitz im Kreis Hof. Auf tschechischer Seite soll Schimming noch zwei weitere Frauen getötet haben.

Dürr, angeklagt wegen 217fachen Mordes, wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt, aber schon 1977 von Bayerns Ministerpräsident Alfons Goppel begnadigt. Im Urteil von 1969 heißt es: „Schimming war eine der gefürchtetsten Aufseherinnen.“ Seit 1961 ermittelte die Staatsanwaltschaft Hof gegen Schimming, da sie „dringend verdächtig“ sei, „mindestens in zwei Fällen im Zusammenwirken mit anderen aus Mordlust grausam einen Menschen getötet zu haben“. Doch ihr Aufenthalt war in Hof nicht bekannt.

Den wußte aber die DDR- Staatssicherheit ganz genau. Mit dem Ziel, sie „für sich arbeiten zu lassen“, ließ man Schimming unbehelligt. Ob die Ex-SS-Frau der Stasi als Spitzel diente, konnte Staatsanwältin Solf den Akten nicht entnehmen. „Von einer Verhaftung wird Abstand genommen nach Rücksprache mit Staatssekretär“, heißt es lapidar in den Akten. Staatssekretär, das war damals Erich Mielke. 1985 schließlich stellte die DDR-Generalstaatsanwaltschaft das Verfahren ein, da „keine Hinweise auf Straftaten vorliegen“.

Das gleiche machte dann im August letzten Jahres die Staatsanwaltschaft in Hof. Begründung: Der Totschlag an der Ärztin sei schon verjährt, und für die Erschießungen auf dem Todesmarsch gebe es „keine zuverlässigen Zeugenaussagen“. Zuvor hatte man Schimming in Berlin vernommen. Sie sagte aus, „noch nie in meinem Leben eine Pistole in der Hand“ gehalten zu haben. Konfrontationen mit anderslautenden Zeugenaussagen unterblieben.

Die beiden grünen Landtagsabgeordneten Sophie Rieger aus Nürnberg und Gudrun Lehmann aus Hof werfen daher der Hofer Staatsanwaltschaft Nachlässigkeit im Umgang mit NS-Verbrechern vor. „Man hätte doch nur in den Keller gehen müssen und in den Akten nachschauen müssen“, argumentiert Gudrun Lehmann. Dort hätte man in der Tat eine Liste mit Namen, Adressen und Telefonnummern von etwa 100 meist in Israel oder in den USA lebenden Zeuginnen gefunden.

Von der bayerischen Staatsregierung wollen Rieger und Lehmann nun wissen, warum die Hofer Ermittler das telefonische Angebot von Chana Kotlicki nicht angenommen haben, nach Volary (Wallern) zu kommen, um dort mit den Überlebenden zu reden. Dort trafen sich im letzten Jahr etwa 25 Überlebende des Todesmarsches aus aller Welt. Eine Reise in die tschechische Republik hätte zudem genügt, um Halina Tenglerova zu vernehmen. Die hatte im März 1972 vor den ČSSR-Behörden ausgesagt, aus zehn Meter Entfernung gesehen zu haben, wie Schimming ein Mädchen mit einem gezielten Herzschuß getötet hat. „Das Mädchen rief laufend nach seiner Mami.“

Nach dem Vorstoß von Rieger und Lehmann wies die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg die Hofer Staatsanwälte an, das Verfahren wiederaufzunehmen. Seitdem werden die Unterlagen auf Mordmerkmale durchgesehen. „Auch dann, wenn jemand meint, er sei Herr über Leben und Tod, und keine Skrupel kennt, können niedere Beweggründe und damit Mord vorliegen“, betont der oberste Ermittler Wabnitz.

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