Sex & Lies und ein paar Videotapes

■ Pfui, bah, schüttel, graus: Ottensen droht der Sittenverfall durch einen Erotik-Videoshop Von Silke Mertins

„Das zieht das Niveau der ganzen Gegend hier runter“: Mit Grausen, Ekel und ausgestrecktem Zeigefinger weist Wolfgang Bartolain auf das Objekt seiner Empörung, direkt gegenüber seiner edlen esoterischen Buchhandlung „Hier & Jetzt“ in der Erzberger Straße in Ottensen: Ein „Erotik“-Video-Geschäft, oh Sünde, ist dort eingezogen. „Die SAGA muß doch dafür sorgen, daß die Mieter sozial- und stadtteilverträglich sind!“

Er zum Beispiel ist so ein Mieter. Gerne wäre Wolfgang Bartolain selbst in den Laden gegenüber eingezogen, hätte seine esoterische Mission auf die andere Straßenseite ausgedehnt, „für Veranstaltungen“ zum Beispiel.

Doch ach, die SAGA entschied sich für Klaus-Peter Inselmann und sein schlüpfriges Gewerbe als Nachmieter einer geschlossenen Spielhalle. „Sauer bin ich schon, daß ich da nicht reingekommen bin“, gibt der Eso-Buchhändler zu. Doch seine Abneigung gegen das Geschäft gegenüber habe damit rein überhaupt gar nichts zu tun: „Ich mag einfach keine Pornoshops.“ Die zögen nämlich „eine ganz üble Szene“ ins Viertel. „Was hier so alles vorfährt“, warnt Bartolain vor dem gesellschaftlichen Verfall Ottensens. Womöglich sei das sogar „eine Geldwaschanlage“.

„Drüben“ im Erotikvideo-Wunderland steht Klaus-Peter Inselmann hinter der Verkaufstheke. „Hallo, Jürgen!“ begrüßt er den reinkommenden Kunden. „Alles Stammkunden“ verrät Inselmann. Denn er betreibt dieses Gewerbe schon „in der zweiten Generation“. Aus der Altonaer Großen Bergstraße, wo das Geschäft „traditionell“ zuhause war, mußte er raus, als das Einkaufszentrum „Frappant“ in den Superfreßtempel „Metropolis“ umgewandelt wurde.

Seine Stammkunden wollte er natürlich behalten. Und auch die Öffnungszeiten: „Ich habe zwei kleine Kinder, 6 Wochen und 15 Monate alt, und die will ich nach Geschäftsschluß um 18 Uhr noch sehen“, weist Inselmann die Möglichkeit zurück, doch auf den Kiez zu ziehen. In Ottensen gefällt es ihm gut. Wenn, ja wenn die Nachbarn nicht wären. Verklebte Türschlösser, rote Farbschmiererei, böse Briefe: Klaus-Peter Inselmann war über die Willkommensgrüße für sein Geschäft nicht eben begeistert. „Die von gegenüber“, grimmt Inselmann, „vermehren sich wohl durch Pollenflug.“

Geprüft und für ungefährlich befunden wurde die Vermietung an Inselmann von der SAGA-Sachbearbeiterin Britta Hallbaum. „Ein ganz normaler und solventer Mieter“, dessen Geschäft „in keinster Weise nach außen anzüglich sei“, sagt sie. Sie hat sich selbst und vor Ort davon überzeugt. Von draußen sei nichts als weiße Wand zu sehen.

Ein Ende könnte allerdings das bezirkliche Bauprüfamt dem Erotik-Video-Etablissement bereiten. Zwar wurde Inselmann ein Gewerbeschein erteilt. Doch, so das Bauprüfamt, im Bebauungsplan sei hier kein Sexshop vorgesehen. Wenn das Amt dabei bleibt, habe er, Inselmann, nicht nur 77.000 Mark in den Sand gesetzt. Sondern dann „muß ich demnächst der Stadt auf der Tasche liegen.“

Inzwischen hat sich auch die Partei des kleinen Mannes, die Altonaer SPD, als Front gegen die drohende Sex-Porno-Sittenverfall-Invasion im Stadtteil formiert. „Der Sexshop paßt nicht ins Sanierungsgebiet“, schüttelt sich SPD-Geschäftsführer Stefan Krappa. Die SAGA sei auf die „Trickserei“ der Betreiber, die vorgaben, einen Videoladen eröffnen zu wollen, hereingefallen. Krappa fragt: „Seit wann gibt es in Videotheken separate Kabinen mit roten Lampen wie in einer Peepshow?“

taz fragt: Woher wissen Sie das denn so genau, Herr Krappa?