Politgewürge statt Aufbruch

■ Nach der Wahl in Schleswig-Holstein: Auch eine rot-grüne Koalition in Kiel ist kein Hoffnungsträger für eine Regionalpolitik im Norden Von Florian Marten

Die Ex-SPD-Hoffnung Gerhard Schröder hatte vor einigen Jahren eine große Vision: „Rot-Grün als Modell für Deutschland.“ Die vier norddeutschen Bundesländer, so erläuterte der mittlerweile zum CSU-Sozi mutierte niedersächsische Ministerpräsident noch 1991, würden gar bald alle Rot-Grün regiert. Und diese erfolgreiche sozial-ökologische Reformpolitik des Nordens sei zugleich der Schlüssel zur Reformwende in Bonn.

In zwei Punkten behielt Schröder immerhin recht: Das Wahlvolk im Norden tendiert zu Rot-Grün, und für Bonn bleibt diese Farbkombination die einzige Reformalternative. Politische Strahlkraft hat sich der rot-grüne Norden bislang freilich noch nicht verdienen können. Und die Chancen stehen schlecht, daß ein rot-grünes Kabinett in Kiel die Wende einläutet.

Die SPD insgesamt ist gegenwärtig zerrissen im Widerstreit zwischen einer Wachstumsstrategie der 60er Jahre (Wachstum durch Industrie & Autobahnen) und der Erkenntnis, daß nur eine grundlegende Kurskorrektur Arbeitsplätze mit Zukunft schaffen kann. Dieser gelebte Widerspruch führt bei der flotten schleswig-holsteinischen Sparkommissarin Heide Simonis zu einer eigenwilligen Mixtur aus Arbeitsplätze sparen (zum Beispiel durch Arbeitszeitverlängerung im Öffentlichen Dienst), Autobahnen bauen und ein bißchen ökologischer Modernisierung.

Hinzu kommt das den Sozis ansozialisierte Problem, aus Machterhaltungsgründen immer zuerst den eigenen Bauchladen zu bedienen, sprich bornierte Landesinteressen vor norddeutsche Gesamtinteressen zu stellen. Die norddeutsche Sozi-Viererbande der LänderchefInnen Simonis, Schröder, Scherf und Voscherau ist untereinander so zerstritten, daß die Erinnerung an die Zeiten des Quartetts Koschnick, Albrecht, Barschel und Dohnanyi den Freunden einer regionalen Politik schon fast nostalgische Tränen in die Augen treibt.

Egal ob Schul-, Hafen-, Wirtschafts-, Energie-, Müll- oder Verkehrspolitik – in einer Zeit, da Experten und BürgerInnen die biedere Erkenntnis, daß politische Probleme sich nicht an Bundesländergrenzen halten, endlich durch konkrete Politik beantwortet sehen wollen, ist der Norden Deutschlands von einer modernen Regionalpolitik weiter entfernt denn je.

Da werden SchülerInnen der „Metropolregion Hamburg“, wie es im Planerdeutsch länderübergreifend so schön heißt, am Schulbesuch gehindert, wenn sie zufällig auf der falschen Straßenseite wohnen. Da wird zwischen Hamburgs und Bremens Häfen ein absurder Subventionswettlauf bis zum endgültigen Ruin der Stadtstaatskassen geführt. Da intrigieren in Bonn und Brüssel Kieler, Hamburger und Hannoveraner Verkehrsagenten im wildesten Wettlauf darum, wie man das jeweilige Nachbarland am besten mit Autobahnen stranguliert. Da kehrt der neue Hamburger Verkehrsverbund zum mittelalterlichen Prinzip der Territorialherrschaft zurück; da befehden sich in der Energiepolitik Hamburg und Kiel bis aufs letzte Atom – die Liste norddeutscher Schildbürgerei ließe sich beliebig verlängern.

In dieser Gemengelage von Orientierungslosigkeit, Lokalborniertheit und Wahlniederlage drohen die Koalitionsverhandlungen der verstörten schleswig-holsteinischen SPD mit den grünen Parlamentsneulingen zu einem erneuten Trauerspiel mangelnden gemeinsamen Erneuerungswillens zu werden.

Die Grünen, intern unschlüssig, wie ernst sie es mit ihrer Wende in der Verkehrs- und Energiepolitik wirklich meinen sollen, dürften in die bewährte NRW-Falle tappen und sich von der SPD in die Scheinalternative von arbeitsplatzvernichtendem Neinsagen und krötenschluckendem Jasagen treiben lassen. Die überfällige Wende zu einer zukunftsweisenden sozial-ökologischen Wirtschaftspolitik wird wohl wieder mal ausbleiben.

Und Deutschlands Leitartikler können weiter ihre LeserInnen mit dem Hinweis traktieren, Rot-Grün tauge eben nicht für harte Zeiten wie diese.