Press-Schlag
: Ein fieser Sieg

■ Schlußendlich ist auch bei St.Pauli die Angst vor dem Abstieg angekommen

Nein, geschehen würde nichts mehr, so kurz vor Schluß. Der Stadionsprecher hatte gerade mitgeteilt, daß die Rostocker Fans erst zehn Minuten nach dem Schlußpfiff ihren Hamburger Kessel verlassen dürfen, und die um die Ossis stehenden Polizisten hatten wieder ihre Helme aufgesetzt. Aus allen Ecken kam nichts, was auf Aufregung hindeutete. Es stand 2:2. Genug für Hansa Rostock, aber nicht für den FC St. Pauli, denn ein Unentschieden hätte sie auf einen Abstiegsplatz befördert. Auf der Haupttribüne murmelten manche davon, daß jetzt über Trainer Uli Maslo gesprochen werden müsse: „Friedel Rausch würde gerne kommen, hab' ich gehört.“

Unzufriedenes Volk am Millerntor. Vor sechs Jahren hätte es sich noch gefreut, so ein kämpferisches und munteres Spiel erlebt haben zu dürfen. Hätte sich einen gefeixt über den Mut, trotz eines Gegentreffers gleich in der zweiten Minute durch Stefan Beinlich die Gegenoffensive zu suchen und gar mit 2:1 in Führung zu gehen. Sie hätten Carsten Pröpper eine weitere Stufe auf dem Weg in den Millerntorhimmel gehoben, denn der war wirklich klasse, was im Falle des FC St. Pauli in erster Linie das Prädikat „sehr bundesligatauglich“ bedeutet.

Und der zwölfte Mann hätte sogar klaglos hingenommen, daß der Gegner den Ausgleich schießt durch Stefan Breitkreutz, denn Gerechtigkeit muß sein, und Rostock war nun mal nicht schlechter. Da wäre ein Sieg nur fies gewesen. Auf St. Pauli mochte man keine Gemeinheiten. Da die Bundesliga an sich als Pfuhl an Niederträchtigkeit (Achtung: Geld!) empfunden wurde, galten Niederlagen insgeheim als letzte Beweise, sich eigentlich als Undercoverarmee einer besseren Fußballwelt in der höchsten Liga zu befinden – so schmerzte der Abstieg 1991 nicht allzusehr.

Doch inzwischen haben sich die Dinge geändert, ob nun bedauerlicherweise oder aber im Sinne einer gewissen Realitätstüchtigkeit. Abstieg wird nun für ein bedrohliches Übel gehalten. Kein Wunder, daß es wehtat, als die tausend Rostocker Fans immer wieder riefen: „Ihr seid Absteiger!“ Richtig gemütlich findet das niemand mehr.

So knarzt es im kooperativen Gefüge beim zweiten Hamburger Bundesligaverein. Trainer Uli Maslo, der so gar nichts hat vom lumpenproletarischen Charme eines Helmut Schulte und strikt auf Distanz zu Fans und Funktionären geht, meint, daß dem Team vor allem das Geld fehle, was für ihn zur Folge hatte, daß er zur Rückrunde keine Verstärkung einkaufen durfte. Präsident Heinz Weisener interpretierte die Stimmungsschwankungen im Betriebssystem vor allem als Mahnung, für Ruhe zu sorgen – und entließ Manager Jürgen Wähling, der mit Maslo nicht konnte.

Den Spielern scheint eh nicht geheuer, was um ihren Arbeitsplatz herum an Kultur gedeiht: Immer wieder müssen sie betonen, daß sie es geil finden, beim FC St. Pauli angestellt zu sein – auch wenn den meisten ihr Engagement nur eine Chance bedeutet, sich bei anderen Vereinen zu empfehlen. Was wissen sie schon von der paulianischen Dreifaltigkeit aus Fans, Fußballern und Funktionären? Die meisten sind ja noch nicht lange dabei. Sie spielen um Geld.

Manche mögen das nicht. Deshalb bröckelt es bei den Fans: Dem früheren Paulianer Bernd Hollerbach wurde schwer verübelt, daß er nun beim HSV spielt: So einer habe sowieso nicht zum Verein gepaßt, sagte Fanbetreuer Sven Brux, der komme ja nicht vom Kiez. Das klingt zwar nach besonderer Liebe zur heimischen Scholle, völkisch sogar, sei aber nicht so gemeint gewesen. Kurzum: Die Nerven lagen ziemlich blank – bis zur 88. Minute. Da bekam Amateur Kay Stisi, der nie zuvor ein Bundesligaspiel abgeleistet hat, den Ball auf die Füße und schoß einfach ins Tor. Der Jubel auf den Rängen war unendlich und die Welt in Ordnung. Man steht wieder einen Platz vor dem Untergang. Einige haben sogar geweint. Und solche Gefühle hat es wirklich lange nicht mehr gegeben in dieser kleinen Welt, die alle liebhaben und die doch fast spröde wirkt, wenn es so wird wie bei allen: Jetzt sollen die Stuttgarter in die Knie gezwungen werden. Jan Feddersen