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Naturtheater nördlich der Alpen

■ Albrecht Dürer als Forscher, Zeichner und Erzähler: In Schweinfurt werden druckgraphische Arbeiten aus den Beständen der Sammlung Otto Schäfer gezeigt

Das fränkische Schweinfurt kann sich glücklich schätzen. Seiner Bürgerschaft gehörten nicht nur die Erfinder der Freilaufnabe an, welche heute noch in der „Fichtel & Sachs“-Dynastie fortleben, sondern auch die des Kugellagers. Nun hat das Imperium für Präzisionsobjekte „Kugelfischer“ der Familie Schäfer in zweiter Generation auch potentielle Liebhaber verschiedener Kulturgüter hervorgebracht.

Der ältere dieser beiden Brüder, Georg Schäfer, verschrieb sich vor allem der Malerei des 19. Jahrhunderts. An seinem Lebensende konnte er auf eine Sammlung zurückblicken, die sich gegenüber der eines größeren Museums nicht zu verstecken braucht. Der jüngere hingegen, Otto Schäfer, gab sich dem Sammeln alter Handschriften und Bücher hin. Diese Leidenschaft ging Hand in Hand mit dem Interesse für das druckgraphische Handwerk. Otto Schäfer entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem weithin geschätzten Kenner alter Bücher und deren Illustrationen.

Doch was geschieht am Ende eines angesammelten Lebens mit so vielen großen Kunstschätzen? Im Falle Georg Schäfers verschlief die Provinzstadt ihre Chance: Der von Mies van der Rohe in den sechziger Jahren für Schweinfurt geplante Museumsneubau wurde nie fertiggestellt. Aus diesem Grund befinden sich heute viele Gemälde aus der Sammlung des Kugellager-Mäzens in Depots oder als Leihgaben außerhalb der Stadtgrenze. Die Neue Pinakothek in München beispielsweise richtete einen eigenen Schäfer-Saal ein.

Auch die Sammlungen des Bibliophilen Otto Schäfer blieben der Öffentlichkeit lange Zeit verborgen. Das nahezu vollständige druckgraphische ×uvre von Albrecht Dürer, das lediglich ein Highlight dieser Sammlung markiert, ist in umfassenderem Rahmen bislang erst einmal vor 25 Jahren in einer Nürnberger Dürer- Ausstellung präsentiert worden, obwohl die Arbeiten schon aufgrund ihrer hohen Druckqualität als Raritäten gelten.

Otto Schäfer scheint aus dem Fehler seines älteren Bruders gelernt zu haben. Er wollte seine Heimatstadt noch zu Lebzeiten kulturell unterstützen und gründete deshalb vor anderthalb Jahren die Dr.-Otto-Schäfer-Stiftung. Diese Einrichtung umfaßt eine Bibliothek, in der nach Anmeldung die alten Bücher bestaunt oder zu wissenschaftlichen Zwecken benutzt werden können. Außerdem verfügt die Institution über Räumlichkeiten, die kleineren Ausstellungen Platz gewähren kann.

Um die bibliophile Leidenschaft des Stifters mit den graphischen Verdiensten des ersten großen Antikenforschers nördlich der Alpen zu verbinden, wird diese Sammlung derzeit in einer Ausstellung mit dem Titel „Dürer als Erzähler“ gezeigt. Diese kleine Übersichtsschau und der parallel dazu entstandene Katalog über einen spezifischen Aspekt der Graphik Dürers bilden den Auftakt zu einer längerfristigen Auseinander

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setzung, an deren Ende das gesamte Druckwerk des aus dem nahegelegenen Nürnberg stammenden Malers und Bildschnitzers beleuchtet werden soll.

Diese Reihe ist nicht nur deshalb ein ehrgeiziges Projekt, weil sie sich zum Ziel setzt, das graphische Werk Dürers erneut zu erfassen. Nachdem sich insbesondere die kunstwissenschaftlichen Arbeiten von Joseph Meder und Erwin Panofsky mit Überlieferungsfragen der verschiedenen Werkphasen und ikonographischen Problemen der Graphik Dürers auseinandergesetzt haben, ist das Anliegen der Schweinfurter Stiftung, das ×uvre unter themenspezifischen Fragestellungen neu zu untersuchen.

Es ist schwer zu glauben, daß es auf diesem Gebiet noch soviel zu entdecken gibt. Schließlich vertritt Albrecht Dürer doch auf deutscher Seite das, was auf italienischer Leonardo da Vinci verkörpert: Beide sind allgemein beliebt und erfreuen sich breiter Popularität. Andererseits steht die Forschung auf dem Feld der narrativen Struktur bei Dürer, von der bereits Heinrich Wölfflin 1905 sprach, noch weitgehend am Anfang.

Dem Aspekt des narrativen Elements bei Dürer haben besonders der Leiter der Städtischen Sammlungen Schweinfurts, Dr. Erich Schneider, und die Berliner Kunsthistorikerin Anna Spall in einem umfangreichen Katalog Rechnung getragen. In detailgenauen Beschreibungen erschließen sich dem lesenden Betrachter über die erläuternde Lektüre winzige Bildelemente, die ihn in die einzelnen Druckgraphiken führen.

Der Katalog umfaßt etwa achtzig Holz- und Kupferstiche, die nach inhaltlichen Schwerpunkten in elf Kategorien zusammengefaßt sind. Auf mattem und festem Kartonpapier werden die reproduzierten Graphiken ansprechend abgebildet. Ihnen gegenüber findet sich jeweils eine Seite erklärender Text, der den Zugang zum Werk von Albrecht Dürers auf leicht verständliche Weise zum Erlebnis werden läßt. Dieses „Katalog- Buch“ ist ebenso ein spannendes Lesebuch wie es wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird.

Inwieweit sich das druckgraphische Werk auch als theatralisierte Erzählgattung beschreiben lassen wird, dürfte sich in den Folgestudien dieses mannigfaltigen ×uvres herausstellen. Albrecht Dürer zählt zu den ersten Bildgestaltern nördlich der Alpen, der über seine Studienaufenthalte in Italien den nächsten Zugang zur Antike in seinen Graphiken gefunden hat. Es wird seinen Grund gehabt haben, warum sich auch noch Jahrzehnte später Künstler an Dürers Vorstellungswelt von der Antike orientiert haben. Anja Helmbrecht

„Dürer als Erzähler“ ist noch bis zum 31. 3. im Haus der Otto-Schäfer-Stiftung, Judithstr. 16 in Schweinfurt zu besichtigen. Der Katalog kostet 30 DM. Nähere Informationen unter Telefon: 09721/ 3985 oder 51-388

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