Warten auf Labour

■ Tony Blair wäre gerne europafreundlicher als Premierminister John Major

„Es wird eine große Erleichterung sein, wenn wir endlich jemanden auf der anderen Seite des Kanals haben, mit dem wir reden können“, sagte ein Berater des niederländischen Premierministers Wim Kok vor kurzem. „Blairs Vorstellungen von einer Partnerschaft zwischen den Gewerkschaften, der Industrie und der Regierung scheinen dem europäischen Mainstream recht nahe zu kommen.“

Spätestensi im Mai 1997 muß in Großbritannien gewählt werden. Kurz darauf soll nach den bisherigen Planungen die EU-Regierungskonferenz zu Ende gehen. Es könnte also sein, daß die Konferenz nach dem erwarteten Labour- Wahlsieg noch ein recht furioses Ende nimmt. Ob aber Labour- Chef Tony Blair, der die Partei nach seinem Amtsantritt vor knapp zwei Jahren sozialdemokratisiert und in „New Labour“ umgetauft hat, tatsächlich eine wesentlich andere Europapolitik als die konservativen Bremser Thatcher und Major betreiben würde, weiß derzeit niemand.

Denn Blair muß vorsichtig sein. Europa ist in Großbritannien nach wie vor ein Reizwort. Da es inzwischen vorsichtige Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung gibt, wittern die Tories noch einmal Morgenluft. Es wäre nicht das erste Mal, daß Labour den sicher geglaubten Sieg in letzter Minute verschenkt. Bei der Formulierung seiner eigenen Europapolitik ist er deshalb flexibel. Lediglich in einigen wenigen Punkten hat sich Blair zu einer klaren Aussage hinreißen lassen.

So will er Mehrheitsentscheidungen lediglich auf vier Gebieten akzeptieren: im industriellen, regionalen, sozialen und umweltpolitischen Bereich. Das Sozialabkommen, bei dem die anderen 14 EU- Staaten derzeit ohne Großbritannien agieren, wird Labour vermutlich absegnen. Aber im Justizwesen oder bei der Immigrationspolitik wird man keine Machtbefugnisse an Brüssel abgeben. Und die Währungsunion? Abwarten, heißt die Devise. Die Entscheidung könne man erst später aufgrund einer Einschätzung der wirtschaftlichen Vorteile fällen, heißt es in einem programmatischen Papier. So ähnlich sagt das auch Premierminister John Major.

Dennoch glaubt Pauline Green, die Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europaparlament, daß Labours Einstellung gegenüber Europa sich drastisch von den Tories unterscheidet: „Sie wollen, daß Europa ein Erfolg wird“, sagt sie, „und das restliche Europa wartet verzweifelt auf eine Labour- Regierung, die konstruktiv an die Sache herangeht.“ Auch Pierre Muscovici, der Berater des französischen Sozialistenchefs Lionel Jospin, hält Labour für Europa- freundlicher denn je. Doch er schränkt ein: „Wir wissen noch nicht, wie Blair zu den großen Fragen steht: Zur langfristigen Entwicklung einer europäischen Regierung schweigt er.“

Noch hat Blair ein wenig Zeit. Außerdem kommt ihm die Skepsis, die sich inzwischen in anderen EU-Ländern in Hinblick auf die Wirtschafts- und Währungseinheit breitmacht, durchaus gelegen. Und am meisten kommt ihm gelegen, daß sich innerhalb des konservativen Lagers in England der Streit über Europa weiter zuspitzt. Während einerseits immer lauter ein Referendum über den britischen Beitritt zur Währungsunion gefordert wird, soll Schatzkanzler Kenneth Clarke in diesem Falle mit seinem Rücktritt gedroht haben. Ralf Sotscheck, London