Shell kippte Öl ins Trinkwasser

Greenpeace präsentiert interne Papiere: Shell hat 20 Jahre lang sein Abwasser in ein Trinkwasserreservoir bei Diyarbakir geleitet  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Die türkische Shell-Tochter NV-Turkse-Shell hat über 20 Jahre lang ölige Abwässer in ein Trinkwasserreservoir nahe der Millionenstadt Diyarbakir gepumpt. Der Konzern wollte damit einige Millionen Dollar Entsorgungskosten sparen. Das zeigen interne Dokumente, die der taz vorliegen.

Den Skandal aufgedeckt hat Greenpeace. „Shell hat wissentlich die Zukunft einer ganzen Region zerstört“, sagt Fouad Hamdan von der Mittelmeerkampagne der Umweltschutzorganisation. Zwischen 1973 und 1994 habe der Konzern mindestens 487,5 Millionen Barrel (77,5 Milliarden Liter) öliges Brackwasser in das Midyat- Grundwasserreservoir eingeleitet. „So etwas würde sich der Konzern in Deutschland, den Niederlanden oder Großbritannien nie trauen“, schimpft Hamdan.

Wissenschaftler der Shell gehen davon aus, daß die Verschmutzung des Wassers schon in den nächsten Jahrzehnten die Brunnen der Millionenstadt Diyarbakir erreichen könnte. Die Wasserversorgung wäre dann für mindestens 100, vielleicht sogar bis zu 1.000 Jahre beeinträchtigt. Shell selbst räumt ein, daß das Brunnenwasser vieler Haushalte gereinigt werden müßte, wenn man keine alternative Wasserversorgung aufbaut. „In beiden Fällen wären die Kosten hoch“, heißt es in einem internen Papier an die Shell-Zentrale in Den Haag.

Greenpeace hatte wegen des Skandals bereits im November das Gespräch mit Shell gesucht. Ziel sei es gewesen, die Einleitung sofort zu stoppen, so Hamdan. Schließlich hätten auch die türkischen Behörden schon seit Jahren ihr Mißfallen zum Ausdruck gebracht, dann aber keine weiteren Schritte unternommen.

Parenco hat das türkische Ölfeld übernommen

Kurze Zeit später hat Shell sein türkisches Explorationsgeschäft dann an den französisch-britischen Perenco-Konzern veräußert. Perenco sei durch seinen besonders nachlässigen Umgang mit Umwelt- und Sicherheitsstandards bekannt, sagt Greenpeace. Die Firma beute Öl- und Gasvorkommen aus, die den großen Ölkonzernen nicht mehr rentabel erschienen. Dafür wird die Zahl der Beschäftigten um bis zu 50 Prozent vermindert. Wenn Perenco die Shell-Praxis nicht stoppt, werden bis zum Jahre 2001 noch einmal 172 Millionen Barrel Dreckbrühe in das Trinkwasserreservoir fließen.

„Shell hat die moralische Verpflichtung, die volle Verantwortung zu übernehmen und den Schaden so weit wie möglich zu begrenzen – unabhängig von diesem Verkauf“, sagt Hamdan. Greenpeace erwarte, daß Shell einen Fonds für die Wasserversorgung der Millionenregion sicherstellt. „Das wird richtig teuer, aber ein verschmutztes Trinkwasserreservoir ist schließlich nicht zu sanieren“, so der Greenpeace-Mann.

Aus den vorliegenden Dokumenten geht hervor, daß örtliche Manager der Shell und Wissenschaftler seit längerem vor den schlimmen Konsequenzen der Einleitepolitik gewarnt haben. Sie wiesen darauf hin, daß es durchaus möglich sei, das mit Öl und Lösungsmitteln verschmutzte Wasser in die Hohlräume zu pressen, die bei der Ölförderung entstehen. Diese Methode ist relativ umweltverträglich. Offenbar war aber das finanzielle Interesse des Managements stärker. In einem internen Papier vom 22. 12. 1995 heißt es, es sei sehr bedauerlich, daß man sich „ausschließlich auf Gewinnmaximierung auf Kosten der Umwelt konzentriert“.

1994 hatten Shell-Experten zwei Alternativen präsentiert, um die Einleitung zu stoppen. Die teurere hätte 15 Millionen Dollar gekostet. Shell entschied sich jedoch für die billigere Variante, die die Einleitung nur um die Hälfte reduziert und 2,2 Millionen Dollar gekostet hätte. Im Zuge des Verkaufs an die Perenco blieb dann auch dieser Versuch auf der Strecke.

Shell war in der Türkei einer der wichtigsten Ölförderer. In den 27 Feldern um die Stadt Diyarbakir förderte der Konzern täglich 13.400 Barrel Öl, das waren 20 Prozent der türkischen Produktion. Auch nach dem Verkauf des Explorationsgeschäfts behält Shell die 630 Tankstellen im Land und eine signifikante Beteiligung an der Raffinerie Ataș.