piwik no script img

Grüne fühlen sich fast fit für die Macht

Schleswig-Holstein: Einer möglichen rot-grünen Koalition stehen keine grundsätzlichen Streitpunkte entgegen. Rein rechnerisch könnte die SPD aber auch mit der FDP regieren  ■ Aus Kiel Kersten Kampen

Sie werden landesweit in den Gazetten als die großen Gewinner gefeiert. Den Grünen selbst aber ist in Schleswig-Holstein die Angst anzumerken, daß Gewinnen nicht gleich Sieg ist. Und Sieg wiederum heißt ganz eindeutig mitgestalten. Vergeblich haben sie am Wahlabend auf ein eindeutiges Signal der SPD gewartet, daß es jetzt ohne Umschweife mit ihnen an den Verhandlungstisch geht.

Die Sprüche von Ministerpräsidentin Heide Simonis über grüne Frösche, aus denen keine Prinzen werden, nur weil man sie küßt, und Kröten, die es zu schlucken gilt, waren vorher meist als Wahlkampfgeplänkel abgetan worden. Zwar wurde der Ton von Simonis moderater, als sie erklärte, vielleicht können Frösche auch netter werden. Doch rein rechnerisch hat die SPD mit 33 Sitzen die Auswahl, und ein sehr ungewöhnliches Modell ist ebenfalls möglich: eine Koalition mit der FDP (4 Sitze), toleriert von den zwei Abgeordneten des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), der Partei der dänischen Minderheit.

Das verunsichert die Grünen, auch wenn sie es nicht zugeben. Zumal Simonis die wenigen netten Worte nicht einfach stehenließ, sondern gleich einschränkte, auf den Knien werde sie nicht rutschen. Und erst solle man sich über Sachthemen unterhalten, bevor Posten verteilt werden. Der Vorstandssprecher der Grünen, Klaus Müller, hatte schon früh zwei Ministerposten für seine Partei beansprucht.

Da wirkte es wie Balsam auf die grüne Seele, als am Wahlabend die SPD-SpitzenpolitikerInnen Landtagspräsidentin Ute Erdsiek-Rave, Europaminister Gerd Walter und Finanz- und Energieminister Claus Möller bei den Grünen hereinschauten und gratulierten. Zumal als Ute Erdsiek-Rave bekanntgab, daß sie SPD-Fraktionsvorsitzende werden wolle. Erdsiek-Rave gilt als Befürworterin von Rot-Grün. Auf den Fluren des Kieler Landeshauses war gestern mehr als einmal von Sozialdemokraten zu hören, Rot-Grün sei die bessere Alternative. Die Öko-Partei steht jedenfalls trotz aller Widrigkeiten in den Startlöchern.

Gestern vormittag trafen sich die zehnköpfige grüne Verhandlungsgruppe für die Koalitionsgespräche, der Landesvorstand und Mitglieder des Präsidiums des Landeshauptausschusses zu einem Arbeitsfrühstück in einem Kieler Hotel. Am Mittag trat die sechsköpfige Fraktion zum ersten Mal zusammen und wählte Irene Fröhlich zur Fraktionsvorsitzenden, Willi Voigt zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und Martin Hentschel zum parlamentarischen Geschäftsführer.

Landespolitisch hat sich bisher keiner der grünen Neu-Parlamentarier profiliert. Die drei Frauen und drei Männer kommen aus der kommunalen Arbeit, waren bisher Mitglieder in Ratsversammlungen und Kreistagen. Die Einschätzung, daß sie als leichter Verhandlungspartner gelten, weil ihnen die Parlamentsarbeit fehlt, schmerzt die Bündnisgrünen, die den Sprung in den Landtag beim sechsten Anlauf endlich schafften. Aber das Image haben sie sich selbst zuzuschreiben, schon früh war verkündet worden, daß es keine Knackpunkte gebe, in einem Koalitionsvertrag müsse aber grünes Profil sichtbar sein.

Umstrittene Verkehrsprojekte wie den Bau der Ostseeautobahn 20, die Elbquerung oder auch den Atomausstieg, den die Grünen bis zum Jahr 2000 schaffen wollen, gelten zwar als Reibungspunkte, doch scheitern würde an ihnen eine Koalition nicht, so war zu hören.

Hauptpunkt wird vielmehr der Haushalt. Sorge hat Müller, daß es dann auch innerhalb der Fraktion knallen könnte und „wir wie die Dummen da stehen“. Denn eine „grüne Position“ zu den Landesfinanzen gibt es nicht. Schon am Wahlabend hatte Hentschel die Forderung, die Verschuldung bis zur Höchstgrenze auszureizen, zurückgenommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen