Sichere Geest

■ Bis uns das Wasser zum Hals steigt, werden Klimafolgenforscher auch konkrete Fragen beantworten können. Vorläufig gibt es nur Szenarien.

Klima ist gesund – an der Nordsee und in den Alpen. Es kann Depressionen machen – im November und in Finnland. Vergiftet ist es dagegen eher im Betrieb oder in der Ehe. Daß das Klima jedoch insgesamt zur Katastrophe werden könnte – diese Vorstellung ist noch so jung, daß der Duden sie erst in der neuesten Ausgabe seines achtbändigen Wörterbuches der deutschen Sprache verzeichnet. Auch deutsche Biologen behandeln diese „Katastrophe“ noch mit Vorsicht.

Für den Bremer Klimafolgenforscher Bastian Schuchardt beispielsweise rechtfertigt erst der Blick auf das wiederholt überschwemmte Bangladesch oder die versinkenden Malediven eine Katastrophen-Wertung – und das nicht nur, weil Bremen durch das weltumspannende, aber allzu grobe 500-Kilometer-Raster der Klimaforscher fällt, solange deren Computer mehr Daten nicht bewältigen, und deshalb das bergige Norwegen (rein rechnerisch) mit der norddeutschen Tiefebene im selben Grobraster vereinen. Die Katastrophen-Bewertung für Deutschland widerstrebt dem Forscher vielmehr, weil die Folgen klimatischer Veränderung im reichen Norden im wahrsten Sinne noch einzudämmen sind – jedenfalls in den nächsten 50 Jahren. Und auf die richtet sich Schuchardts Blick. Seine Diagnose: Die durchschnittlichen zwei Grad Erwärmung und ein ansteigender Meeresspiegel um rund einen halben Meter werden für die Hansestadt nur begrenzte Folgen haben. Welche? Darauf gibt es noch keine genaue Antwort. Auch die bangen Fragen von HäuslebauerInnen nach flutgeschütztem Bauland bleiben unbeantwortet – oder sind möglicherweise überhaupt fehl am Platz: Denn je nachdem, ob man die Deiche erhöht oder sie ins Land hinein verlegt, gebe es unterschiedliche Folgen. Und beides wäre ja denkbar. Wünschenswert in jedem Fall: „Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber, was geschehen soll.“

Damit das möglich wird, brütet man in Deutschland seit 1991 über ersten regionalen Szenarien und Kostenplänen. Da wurde die Klimafolgenforschung als interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt eingerichtet. Sie soll vor allem den anfälligen Küstenraum untersuchen. Hier werden Stürme, Versalzung von Küstenstreifen und Grundwasser und eine weitere Erhöhung des Tidenhubs möglicherweise empfindliche Wirkung zeigen. „Vorausgesetzt, die bisherigen Grunddaten gelten weiterhin“, schränkt Schuchardt ein.

Die Daten der Folgenforschung stammen vor allem aus einer Quelle: Aus Erhebungen der ICCP-Arbeitsgruppe (International Panel on Climate Change), eines angesehenen wissenschaftlichen Beratungsgremiums der UN. Auch die mußte mittlerweile erste drastische Voraussagen über die Klimaentwicklung abschwächen. Allerdings kommt die ICCP neuerdings zu der Folgerung, daß Klimaveränderung menschengemacht ist.

„Mit den Ursachenbefassen wir uns nicht“, sagt Schuchardt. Sollte das Bonner Zukunftsministerium im April positiv über einen Forschungsantrag der Universität Bremen entscheiden, will er an der Seite des Bremer Biologen Michael Schirmer vor allem die regionalen Folgen der Klimaveränderung aufs Korn nehmen. Wie vielfältig und komplex die sind, macht allein die Beteiligung von sechs verschiedenen Hochschulen von Braunschweig über Hamburg bis Bremen deutlich. In Braunschweig beispielsweise werden Szenarien simuliert, die Antworten auf die Fragen geben sollen, in welchem Umfang sich Flüsse verbreitern, wenn Winter regenreich sind? Was heißt es für die Wasserqualität, wenn die Sommer wärmer und trockener werden? Wie häufig muß das AKW in Esenshamm dann abgestellt werden, um zusätzliches Aufheizen der Weser durch Kühlwasser zu verhindern? Und: wo liegen da die Grenzen der Wirtschaftlichkeit?

Es muß aber nicht alles negativ sein: Das teure Ausbaggern der Unterweser könnte sich „bei einem Anstieg um 50 Zentimeter erübrigen“, flachst Schuchardt. Was die Küstenregion betrifft, Butjardingen beispielsweise, wäre deren Versalzung vielleicht aus Sicht des Landwirts schlecht, aber nicht aus der Sicht des Ökologen – trotz Absterben von Röhricht und Ausdehnung des Watts.

„Vorerst geht es darum, die verschiedenen Entscheidungen aufzuzeigen, die sich durch die Veränderungen ergeben“, sagt Schuchardt. Was das für die Menschen an der Unterweser oder in Butjardingen, für BremenInnen oder BremerhavenInnen genau bedeutet, weiß niemand. Nur eines ist am zufriedenen Forscherlächeln abzulesen: Wenn man auf der Geest wohnt, kann man sich sicherer fühlen. ede