Die Zumutung des Klappentextes

■ Ein Verlag ist kein Hobby: Sascha Anderson verläßt das Druckhaus Galrev

„Kein bißchen schade“ findet Sascha Anderson seinen Schritt, und er betont es so, daß man es ihm nicht glaubt. Anderson verläßt das Druckhaus Galrev. Und weil er allein für das Programm zuständig war, bedeutet sein Ausstieg das Ende des Verlags. Galrev wird von nun an nur noch als Druckerei arbeiten. Einer der letzten kleinen Ostverlage schmeißt damit das Handtuch. Als persönliche Niederlage empfindet dies auch Geschäftsführer Egmont Hesse: Resignation und Müdigkeit.

Als sich Anderson vor sechs Jahren mit anderen Autoren des Prenzlauer Bergs und Herausgebern nichtoffizieller DDR-Kleinstzeitschriften wie der Ariadnefabrik von Rainer Schedlinski zusammentat, herrschte noch eine andere Stimmung. Da wurde noch was bewegt: Gelder wurden aufgetrieben, Satz- und Druckmaschinen gekauft. Anspruchsvolle Schriftkultur lag Galrev am Herzen, Typographie, Illustrationen und Text sollten harmonieren.

Doch die Kompetenzen waren von Anfang an getrennt: erst die Ökonomie, dann die Poesie. Was die Druckerei erwirtschaftete, sollte in den Verlag investiert werden, so stand es in der Satzung. Sascha Anderson allerdings machte aus dem Verlag eine Privatangelegenheit, in die sich niemand einmischen durfte. So undemokratisch wie möglich verwirklichte er hier sein Hobby, verlegte Lyrik und Anthologien. Natürlich habe er sich beraten lassen, bevorzugt in der Kneipe, natürlich sei aber in diesen Zeiten der Grausamkeit und Marktwirtschaft dafür immer weniger Zeit geblieben. Folglich lebte man sich auseinander. Die nie schriftlich fixierte Selbstverständlichkeit des Austauschs verkümmerte zusehends.

Mit Lyrik kann man in Deutschland keine Brötchen verdienen. Und wenn sich ein Verlag zum Lyrikverlag ernennt, verkauft er selbst Prosa noch schlechter. Und dann noch diese leidige Geschichte mit der Stasi. Derart Gebrandmarkte wie Hesse und Schedlinski hätten sogar ein Buch von Umberto Eco im Programm haben können und doch hätten wohl alle geglaubt, es sei nicht echt oder zu unwichtig und keiner hätte es gekauft.

Natürlich lag es außerdem an der „brutal abwesenden Verkaufsstrategie“ der Ossis. Das wollten sie nie lernen. Doch macht es einfach keinen Sinn, in eine Buchproduktion 10.000 Mark zu investieren, um dann 200 Bücher zu verkaufen. Und das zwanzigmal im Jahr. Das konnte Anderson nicht einsehen. Bei ihm komme avantgardistischerweise erst die Poesie, dann die Ökonomie. Schon das Formulieren eines Klappentextes sei ihm da zum Problem geworden. Wenn es überhaupt einen gab, klang er so bewußt unzugänglich, daß neun von zehn potentiellen Käufern das Buch sicher erschrocken ins Regal zurückgestellt haben. Und immer kosteten die Bücher 30 statt der üblichen 29,80 Mark. Auch Barcodes und ISBN- Nummern war den Westfremden aus Überzeugung zuwider.

Immerhin, 100 Bücher konnte Galrev in den letzten sechs Jahren dennoch verlegen. Darunter trendsetzende Anthologien amerikanischer Slam! Poetry oder deutscher Social-Beat-Literatur. Noch in diesem Frühjahr gibt es eine lustige Trash-Literatur-Anthologie, herausgegeben von Enno Stahl, der in Köln den Krash-Verlag betreibt. Darin Photos von Hans Martin Sewcz, der diesen netten SED-Design-Band im Taschen-Verlag gemacht hat.

Grund zur Trauer gibt es trotzdem. Auch wenn alle Beteiligten immer betonen, daß der Untergang vorhersehbar war. Auch wenn sie mir abrieten, überhaupt darüber zu schreiben. Auch, wenn Egmont Hesse weiterhin zweimal im Jahr seiner Edition Qwert Zui Opü nachgehen will und selbst dann, wenn man weiß, daß Galrev eine der besten Druckereien Berlins bleiben wird. Susanne Messmer