Der Arno-Schmidt-Kult wird kybernetisch

■ Eine Multimedia-CD-ROM bietet jetzt erstmals eine elektronische Bibliographie und audiovisuelle Zeugnisse zu Leben und Werk des Schrifstellers Arno Schmidt

Er war stolz darauf, kein moderner Mann zu sein. Was hätte Arno Schmidt also zur CD-ROM gesagt? Unmengen von Büchern, Bildern, Klängen auf einer kleinen silberfarbenen Scheibe, problemlos abrufbar: Das hätte ihm, dem großen Bibliomanen und Gedächtniskünstler, gefallen müssen, obwohl er sicher die Bücher selber nicht hätte missen wollen.

Die Idee des Multimedialen – die Vernetzung verschiedener Medien – ist in Schmidts eigenen Büchern schon angelegt: Texte, Fotos, Gemälde, Musik und Filmisches werden dort herbeizitiert, miteinander verknüpft und intensiv weiterverarbeitet. Der Leser tritt – ganz ähnlich wie bei einer CD-ROM – „interaktiv“, die jeweiligen Lesarten selbst bestimmend, in Szene. Es wäre nur konsequent, Schmidts Texte, gekoppelt mit ihren schriftlichen, bildlichen und musikalischen Ausgangsmaterialien, vielleicht gar noch verknüpft mit den passenden wissenschaftlichen Auslegungen, alles per Mausklick abrufbar, auf CD- ROM herauszubringen.

Doch soweit ist es noch nicht. Fürs erste sind es „audiovisuelle Zeugnisse zu Leben, Werk und Wirkung“ Schmidts, die der Bielefelder Verlag Aisthesis und das multimediale Redaktionsbüro Compania Media auf CD-ROM vorstellen. Randvoll ist die Scheibe: Karl-Heinz Müthers umfangreiche Arno-Schmidt-Bibliographie, mehr als 600 Fotos, Grafiken und Gemälde, etwa 150 Text- und 22 Tondokumente sowie drei Video- und Filmsequenzen drängeln sich hier. Es handelt sich nicht selten um unveröffentlichtes oder schwer zugängliches Material, so daß selbst hartgesottene Schmidt-Freaks Neues zu sehen bekommen. (Vorsicht, die CD-ROM läuft nur auf IBM-kompatiblen PCs, nicht auf dem „Mac“.)

Der Zugriff auf die Anwendungsebenen ist dank eines einfachen Bedienkonzeptes problemlos. Acht Menüs – Bibliographie, Vita, Werk, Fotogalerie, Bildende Kunst, Theater, Kollegen, Parodie/ Satire – sind mit einem intelligenten Verweissystem untereinander verbunden, so daß man an selbstgeknüpften roten Fäden bequem durch die Datenspeicher reisen kann.

Dies gilt auch und gerade für die Bibliographie, die mit einem ausgeklügelten Suchsystem aufwartet. Die Menüs selber sind nach dem Prinzip des Tableaus aufgebaut: Ein Hintergrundbild wird – durchgehend effektvoll – mit audiovisuellen Materialien arrangiert. Insgesamt wird ein vielschichtiges Leporello von Schmidts Leben, der Geschichte seines Werks und seiner Wirkung entworfen.

Alles, was elektronische Medien attraktiv macht – die Informationsmenge, die Leichtigkeit des Zugriffs, die anschauliche Darbietung –, ist auf dieser CD-ROM überzeugend verwirklicht. Ich werde aber den Eindruck nicht los, daß hier eine elektronische Version des Schmidt-Kultes vorgetragen wird, ein Kult der Person und einiger ihrer Ideen.

Die Arno-Schmidt-CD-ROM, ein Erzeugnis der Postmoderne, wandelt auf den Pfaden der 19.-Jahrhundert-Hermeneutik ihres Hauptdarstellers: Literatur wird nicht aus ihrer ästhetischen Konstruktion, sondern aus der (Psycho-)Biographie ihres Produzenten heraus erklärt. Die sehr gekonnte mediale Rhetorik der Schmidt-CD-ROM leistet mithin einer veralteten Idee Vorschub – Unzeitgemäßes kommt hier im zeitgemäßen Gewand daher. Gregor Strick

Karl-Heinz Müther u.a.: „Arno Schmidt (1914–1979). Bibliographie und audiovisuelle Zeugnisse zu Leben, Werk und Wirkung“. Multimedia-CD-ROM. Bielefeld: Compania Media/Aisthesis, 1995, 328 DM