Der homosexuelle Mann ... Von Elmar Kraushaar

... trauert. Schließlich hat er einen Feiertag weniger in diesem Jahr. Der „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ fällt aus, jedenfalls hierzulande. Der Höhepunkt des alljährlichen Schlagerzirkus geht diesmal am 18. Mai ohne deutsche Beteiligung über die Bretter in Oslo.

Schuld daran ist Leon, der eigentlich Jürgen Göbel heißt, schon immer Grand-Prix-Sieger werden wollte und Frisör war in seinem ersten Leben. Der Münchner – optisch ein smash hit, dafür eine Stimme von gnadenlosem Durchschnitt – gewann haushoch den nationalen Vorentscheid mit einer up tempo-Kopie des einstigen Peter- Schilling-Hits „Major Tom“.

„Der blaue Planet“ heißt die Leon-Version und fand keine Gnade bei den Vorab-Juroren, die für den Eurovisions-Wettbewerb von 30 Titeln 23 nominieren mußten. Also kein deutscher Beitrag in diesem Jahr, und ob die „Le-Chypre-Douze-Points-Gala“ dennoch von der ARD ausgestrahlt wird, ist noch nicht entschieden. Und so müssen die schwulen Männer Deutschlands weiter zittern und bangen. Rangiert doch für sie der ESC (Eurovision Song Contest) – so heißt der Abend in Fachkreisen – als main event gleich nach dem Christopher Street Day und noch vor der Eiskunstlauf-WM.

Dabei waren die ersten Einladungen schon raus und die Diskussion um die korrekte Abendgarderobe bereits losgetreten. Denn der ESC ist seit Jahren ein fester Bestandteil der Party-Chronologie der schwulen Gemeinde. Mit ganz eigenem Ritual. Landauf, landab strömen die Homos an jenem Abend in repräsentativen Privatwohnungen zuammen, lassen sich vor überdimensionalen Bildschirmen auf quietschgrünen Cocktailsesseln nieder, ein Eierlikör bei der Hand oder leckeren Schampus, um sich schließlich hochroten Kopfes in den Abstimmungsmarathon zu stürzen.

Denn viele Punkte – so verlangt es die Zeremonie – sind an diesem Abend zu vergeben. Natürlich für die Songs und für die Präsentation und für die Choreographie und für das Arrangement. Aber auch für den dekorativsten Fummel, das pudrigste Make-up, die kunstvollste Frisur, die beeindruckendste Oberweite (weiblich), den verheißungsvollsten Unterleib (männlich).

Das verlangt allerhöchste Konzentration und einen flinken Protokollanten. Denn jede Wertung wird schriftlich festgehalten, umständlich zusammengerechnet und wieder auseinanderdividiert. Bis das Ergebnis steht und die hausgemachten Sieger proklamiert werden.

Oft genug weicht die Plazierung weit ab von der offiziellen Wertung – schließlich haben Schwule weitaus mehr Geschmack und Sachverstand als jede demoskopisch astreine Jury.

Die so alljährlich zutage tretenden Differenzen schmälern die Begeisterung keineswegs – im Gegenteil. Denn weder nationale Gefühle treiben die Homos an bei ihrem Tun, noch ein starrer Blick auf kommerzielle Perspektiven. Es geht einzig um den Spaß dabei: die breiten Bühnentreppen, die erotischen Versprechungen, der wirre Glanz in den Augen der Interpreten. Und um den gekonnten Ausfallschritt der Tänzer, den prägnanten Gefühlsausbruch im Gesang und und und.

Deshalb ist ein Jahr ohne Grand Prix ein verlorenes Jahr.