"Jetzt spielen wir CNN"

■ Ein Gespräch mit dem Hongkong-Regisseur Wong Kar-Wai über seinen Film "Chungking Express"

taz: Hongkong kennt man sonst nur als Aktionsraum und Business-Distrikt, warum ist es bei Ihnen so still?

Wong Kar-Wai: Es geht um die Leere. Diese Passagen, in denen scheinbar nichts passiert, sind Teil der Geschichte. Die Schauspieler fragten mich: „Warum müssen wir Wochen damit zubringen, einfach umherzugehen, zu waschen und das Haus zu putzen?“ Dabei charakterisiert das Figuren, die sich verhalten wie Maschinen.

Ich bin nicht sehr analytisch. Ich denke nur, was könnte jetzt passieren? Trifft der Killer vielleicht einen alten Freund wieder? Das entscheide ich intuitiv. Beim Drehen regiert das Unterbewußte. Das Schneiden hingegen ist der bewußte Teil. Da überlege ich mir das „voice over“, das die Szenen manchmal völlig umdeutet.

Wie kommen Sie an diese seltsamen Großstadtbilder?

Der visuelle Stil entsteht aus der Arbeitsweise. Wir hatten zum Beispiel bei „Chungking Express“ und „Fallen Angels“ [Wongs letzter, bei der Berlinale vorgestellter Film] keine Dreherlaubnis, kaum Zeit für sorgfältiges Einleuchten und aufwendige Kameratechnik. Also machen wir Anleihen beim Dokumentarfilm. Wir sagen: „Jetzt spielen wir CNN.“ In „Fallen Angels“ sieht ein Schauspieler direkt in die Kamera, als wäre es ein Amateurfilm. Wir haben alle die Godard-Filme der sechziger Jahre gesehen, und ich beruhigte ihn damit, daß ich sagte, das sei nichts Neues.

Dazu paßt dann auch dieser Einsatz des extremen Weitwinkels?

Durch die Verzerrung erscheint mir Hongkong auf einmal riesig. Natürlich entsteht so auch eine Art psychologischer Raum. Weitwinkel vereinzelt die Leute. Es scheint, als seien sie himmelweit von ihren Mitmenschen entfernt, die doch eigentlich so nah sind. Genau dieses Gefühl wollten wir erzeugen.

Wie findet man in Hongkong Drehorte für diese Art von Film?

Wir haben im wirklichen Hotel „Chungking Mansion“ gedreht. Da hätte man doch keine fremden Statisten reinbringen können. Also sind wir selbst mit unserer ganzen Crew dort eingezogen und haben es mit Leben erfüllt. Der Hotelier spielt sich auch selbst.

Sie beschreiben sich in Interviews gern als „den DJ“ Ihrer Filme.

Meistens verwende ich die Musik, die ich täglich höre. Ich wurde in Schanghai geboren und kam mit fünf Jahren nach Hongkong. Ich weiß noch, daß ich zuerst durch den Klang dieser Stadt beeindruckt war. Ich achte immer auf das Akustische. Wenn ich einen neuen Film plane, überlege ich mir zuerst den Ort. Mit dem Ort kenne ich dann auch die Charaktere, natürlich auch die Klänge und manchmal sogar den Geruch. Wie in „Fallen Angels“, wo ich die Hongkonger Nächte durch Radioprogramme entstehen lasse. Leider läßt sich das nicht untertiteln, aber es sind bei uns sehr bekannte Radioprogramme. Während der Szene mit dem Mädchen im Schnellrestaurant läuft zum Beispiel ein bestimmtes Talk-Radio für Menschen mit Liebeskummer. Normalerweise würde man ja über solche Dinge mit seinen Freunden reden, aber die Leute neigen dazu, es inzwischen lieber völlig Fremden zu erzählen.

Die Jukebox ist ein Beispiel für die höchst intime Beziehung, die Ihre Figuren zu Gegenständen aufbauen – einem Stofftier oder einer CD in „Chungking Express“...

Ich selbst empfinde diese Leidenschaft für Sachen, Details und Kleinigkeiten. In diesem Augenblick habe ich mich zum Beispiel in dieses Marmeladentöpfchen hier verliebt (lacht). Ich wollte immer schon einen Interviewfilm drehen und dabei nur den Tisch zeigen, und wie er hinterher aussieht.

Im Gegensatz zu Melville-Charakteren stehen Ihre Protagonisten in einer ganz seltsamen Form von Kontakt: Man hört einen nach dem andern Monologe im „voice over“ halten, sie reagieren aufeinander, aber immer nur fast direkt. Lebt man so in Hongkong?

Nun, ich bin leider sehr selten zu Hause. Als ich einmal wieder nach Hause kam, bemerkte ich, daß meine Frau sich angewöhnt hatte, mit sich selbst zu reden. Einsame Menschen tun das offenbar. Das fand ich sehr bemerkenswert.

In vielen Ihrer Filme gibt es so einen Moment, wo man den Atem anhält. Das Bild wird schwarzweiß und steht fast still, während ein anderer Teil des Bildes schnell weiterläuft. Wie um alles in der Welt macht man so was?

Das machten wir im Labor. Wir haben nicht in Schwarzweiß gedreht, weil man den Rohfilm dazu praktisch nicht mehr bekommt. Auch im Labor war das sehr schwer zu entwickeln. In „Chungking Express“ gibt es einen solchen Moment, von dem die Figuren möchten, daß er ewig andauern möge. Das ist das Geheimnis des Kinos: Man kann eine Sekunde bis in alle Ewigkeit andauern lassen.

In Hongkong werden die meisten Filme sehr schnell abgedreht. Wieviel Zeit steht Ihnen zur Verfügung?

Das kommt darauf an. Vor zwei, drei Jahren galt ich als sehr langsam. „Days of Being Wild“ hat eineinhalb Jahre Drehzeit gekostet. Jetzt gelte ich als zu schnell [drei Monate Drehzeit für die letzten beiden Filme]. Aber viele Kollegen kommen auf fünf bis sechs Filme im Jahr.

Können Sie mir verraten, was Sie vor Ihrem ersten Film „As Tears Go By“ gemacht haben?

Ich habe Drehbücher geschrieben. Nach der High School begann ich ein Graphikstudium, bin aber nach einem Jahr zum Fernsehen gegangen, wo man eine Ausbildung zum Regisseur bekommen konnte. Das war 1982, zur Zeit des großen Umbruchs im Hongkonger Filmgeschäft. Viele Fernsehleute sind damals zum Kino gewechselt, und ich habe Drehbücher geschrieben, sechs Jahre lang. Einer der Regisseure hat mich dann gefragt, ob ich es nicht auch einmal versuchen möchte. Damals war gerade die Zeit von John Woo und „A Better Tomorrow“, und jeder in Hongkong wollte Gangsterfilme sehen. Ich wollte es aber ein bißchen anders machen, und da MTV sehr populär war, habe ich einen Film mit einem achtzigprozentigen Musikanteil gedreht; aber in den entscheidenden Momenten ist es still. Bei „Days of Being Wild“ habe ich das Verfahren umgedreht: In dem ganzen Film gibt es fast keine Musik bis auf die entscheidenden Wendepunkte. Ich ändere mich immer.

Das Gespräch führte

Daniel Kothenschulte