Falscher Briefkasten

■ E-Mails sind praktisch. Aber beim T-Online-Dienst der Telekom kommen sie nicht immer bei der richtigen Adresse an

Etwa vierzig Millionen Menschen, so wird geschätzt, sind inzwischen über das Internet miteinander verbunden. Sie schicken sich jeden Tag elektronische Briefe zu, die fast immer ihr Ziel erreichen. Das System, das einst die amerikanische Armee in Auftrag gab, ist belastbar.

In Deutschland sind heute etwa eine Million Menschen über das T-Online-Netz der Telekom miteinander verbunden. Auch sie können auf diesem Weg das weltweite Internet erreichen. Aber nicht alle ihre elektronischen Briefe müssen diesen Umweg nehmen. Wer eine Person anschreibt, die selbst bei T-Online angemeldet ist, kann auch das Hausnetz benutzen. Aber in dieser deutschen Provinz gelten andere Regeln als in der weiten Welt des Internet. Was dort sicher funktioniert und einfach zu bedienen ist, das ist hier ein System voller Tücken. Denn die ehemalige Deutsche Bundespost hat ihren Kunden ein paar böse Fallen gestellt. Fehler werden so schnell nicht verziehen.

Entnervte Briefschreiber schätzen, daß gut ein Drittel der elektronischen Post ohnehin schlicht verschwindet, unauffindbar verloren auf dem Weg durch die Telekomleitungen zu dem einzigen Großrechner in Ulm, der den gesamten Briefverkehr des T-Online-Dienstes abwickeln muß.

Gelegentlich, so wird auch geklagt, dauere die Übertragung eines Briefes mehrere Tage, und seit kurzem ist auch nicht mehr sicher, ob die Briefe, die tatsächlich ankommen, auch wirklich den richtigen Empfänger erreichen.

Schuld daran ist eine schlampig programmierte Software, der sogenannte KIT-Standard, mit dem die Telekom ihren uralten Datendienst „Btx“ im letzten Jahr aufpoliert hat. Anders als früher müssen T-Online-Kunden nun nicht mehr ihre schlichte Telefonnummer mit ein paar Zusatzziffern als Briefadresse angeben. Wie im Internet seit jeher üblich können sie seit letztem Dezember auch einen individuellen Namen als Adresse wählen. Er wird mit dem inzwischen zum Statussymbol für die informationelle Elite avancierten Sonderzeichen „@“ vor die eigentliche Rechnerkennung gesetzt. Nicht anders eigentlich, als es das „Simple Mail Transfer Protocol“ (smtp) im Internet auch vorschreibt.

Nur, was dort für absolut zweifelsfrei identifizierbare Briefadressen sorgt, das führt im Netz von T-Online gleich serienweise zu Pannen. Zum Beispiel beim taz-Kolumnisten Dieter Grönling, der seit vielen Jahren Kunde des alten Btx-Dienstes der Bundespost ist. Er richtete mit dem Vornamen seiner Lebensgefährtin einen Briefkasten bei T-Online ein. Die ersten Testbriefe kamen tatsächlich unter der angegebenen Adresse an. Als die neue T-Online- Kundin aber ein paar Tage später ihren persönlichen Anschluß an die Datenwelt zum ersten Mal selbst ausprobieren wollte, traute sie ihren Augen kaum: Über 30 Briefe waren eingetroffen, Briefe von wildfremden Leuten, zum Teil mit höchst intimen Inhalten, dazu ein halbes Megabyte Kursunterlagen für irgendeine firmeninterne Fortbildung (die vielleicht auch die Konkurrenz interessiert hätte), ferner technische Unterlagen zu ISDN-Geräten. Gemeinsam war ihnen nur eines: in der Empfängeradresse kam derselbe Vorname vor.

Kein Einzelfall, bei der Telekom ist das Phänomen seit längerem bekannt. Eine Lösung allerdings hat sie dafür noch nicht gefunden. Man habe sich bei der Einrichtung des Mail-Servers exakt an den Standard des Internet gehalten, der Fehler könne daher nur bei den Kunden liegen, meint der T-Online-Sprecher. Im T-Online- Forum sind die meisten Kunden allerdings anderer Meinung. Der Fehler liege nicht an ihnen, sondern an der Software, die einen harmlosen Fehler zum glatten Bruch des Briefgeheimnisses aufblähe.

Denn tatsächlich ist die T-Online-Namensadresse nur ein Deckname für die alte Btx-Nummer, die für den Rechner der Telekom nach wie vor das einzige ist, was er verstehen kann. Darauf ist am anderen Ende der Leitung auch das Kundenprogramm zum Briefeschreiben eingestellt. Es bietet nur auf der Oberfläche des Bildschirms ein Feld für den Klarnamen an. Er wird hinterher in die technische Ziffern-Adresse übersetzt, an die außerdem der Zusatz für den Telekom-Zentralrechner („@t-online.de“) angehängt wird, solange der Briefschreiber nicht eigenhändig irgend etwas anderes eintippt.

Was auf den ersten Blick wie eine überaus bequeme Vereinfachung aussieht, kann aber schon bei schlichten Tippfehlern zum Verhängnis werden. Dieter Grönling beschreibt seinen Fall so: „Der T-Online-Mailserver bot gleich drei passende Adressen zur Auswahl an, die ich jedoch ignorierte – schließlich sollte ja die Lebensgefährtin ihren Mail-Anschluß erhalten.“ Grönling tippte den Vornamen seiner Freundin und „@-t-on line.de“ ein. „Das sieht gut aus“, fand er, „wie eine richtige Internet- Adresse.“ Auch der Telekom-Server war einverstanden. Er akzeptierte die Eingabe des singulären Vornamens anstandslos. Alle anderen Kundinnen, die denselben Vornamen tragen, waren offenbar dem Vorschlag der Software gefolgt und hatten ihren Nachnamen ebenfalls in die Adresse eingefügt.

Die vorschriftsgemäße Eingabe würde in einem fiktiven Beispiel lauten: „Helga.Meier“. Nun weiter angenommen, ein Heiner Müller will an eben diese Helga Meier einen Brief schreiben. Die Software der Telekom bietet ihm ein Feld an, in das er den Klarnamen schreiben darf, weiter, so scheint es, muß er nichts tun.

Zwar würden Kenner des Internetverkehrs vermutlich auf den Punkt achten, der zwischen den beiden Namensteilen zu stehen hat. Denn diese Kenner des Internetstandards würden vielleicht auch noch wissen, daß ein Leerzeichen in einer Adresse der Anweisung an den Computer gleichkommt, die beiden dadurch voneinander getrennten Zeichenfolgen als zwei unterschiedliche Adressen zu verstehen, an die dieser eine Brief versandt werden solle.

Doch neugeworbener Telekomkunde, der er ist, weiß das Heiner Beispielmüller vielleicht nicht – ein wahrlich verzeihlicher Fehler. Müller schreibt also in aller Unschuld „Helga Meier“ in das Empfängerfeld. Damit nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Denn auch das Telekom-Programm faßt das Leerzeichen zwischen den beiden Wörtern als Anweisung auf, demselben Brief zwei Empfängeradressen zu verpassen. Tatsächlich würde zunächst jeder Internetserver auch so verfahren. Er würde versuchen, die Zeichenfolge „Helga“ als Adresse zu deuten. Das Ergebnis wäre jedoch die Rückmeldung eines Fehlers. Denn „Helga“ ohne Zusatz kann sowenig eine Internetadresse sein wie „Meier“.

Doch eben diesen Schritt überspringt das T-Online-Programm. Damit ist die simple, aber effektive Sicherung ausgeschaltet, die (neben anderen Elementen des Mail- Systems) unabsichtliche Fehlleitungen von Briefen zuverlässig verhindert. Statt einen Fehler anzuzeigen, hängt T-Online nach dem Lesen der beiden durch Leerzeichen getrennten Zeichenfolgen an jede von ihnen den Zusatz der T-Online-Hausadresse an. Damit kann der Zentralrechner in Ulm nun sehr wohl arbeiten. Er wird deshalb den Müllerschen Brief erstens an eine „Helga@t-online“ und zweitens an einen (oder eine) „Meier@t-online“ übermitteln – womöglich mit fatalem Erfolg.

„Das ist wie bei der gelben Post“, meint der T-Online-Sprecher, „wenn Sie etwas Falsches auf den Umschlag schreiben, kommt der Brief an die falsche Adresse.“ Nur ist ein Computernetz nicht mehr die Bundespost. Die Wahrscheinlichkeit, daß Helgas und Meiers nichtsahnend nur ihre Vornamen als Briefadresse verwenden wollten, ist ziemlich groß, sehr viel größer jedenfalls als die Wahrscheinlichkeit, daß ein unabsichtlicher Tippfehler eines Briefschreibers zur tatsächlichen Zustellung eines Briefes führt. Genau das aber geschieht in diesem Fall: Helga Meier, die wahre Adressatin, geht leer aus, nie wird sie erfahren, was ihr Müller sagen wollte. Dafür erhalten eine Helga und ein Mensch namens Meier einen Brief des ihnen gänzlich unbekannten Müllers, der ihnen vielleicht völlig ahnungslos seine intimsten Geheimnisse offenbart.

Einen Anlaß, ihre Kunden und Kundinnen auf diese Gefahr hinzuweisen, hat die Telekom bisher nicht gesehen. Die bisher bekannten Fälle haben nur eine Diskussion im internen T-Online-Forum ausgelöst. Auch sie blieb ohne offizielle Antwort. Ganz offensichtlich lasse die Telekom die Kunden mit der verwirrenden Software allein, heißt es in einer Zuschrift an das Forum, das übrigens im KIT- Standardmenü gar nicht auffindbar sei. Niklaus Hablützel

(niklaus@taz.de)