Der opportunistische American Hero

Bob Dole hat es geschafft: Er ist Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner, mit 72 Jahren der älteste, den die USA je hatten. Im Wahlkampf gegen Bill Clinton ist ihm jedes Mittel recht, um zu gewinnen  ■ Von Andrea Böhm

Nach zwei demütigenden Niederlagen bringt Bob Dole nun etwas Enthusiasmus für seine Rolle als Wahlkämpfer auf, die er bei den republikanischen Vorwahlen 1980 und 1988 so mürrisch und dilettantisch gespielt hatte. Seine Reden sind keine abgehackten Satzfetzen mehr, denen das Verb fehlt. Er schüttelt Hände, klopft auf Schultern, tätschelt Kinderwangen – all das mit der linken Hand. Der rechte Arm ist an den Oberkörper gepreßt, die Finger umkrallen den obligatorischen Kugelschreiber, der die Verkrüppelung kaschieren und andere davon abhalten soll, seine rechte Hand zum Gruß zu ergreifen. Inzwischen hat er sogar Grundkenntnisse des Keep-smiling erworben, und seine Wahlkampfveranstaltungen sind entgegen der Behauptung seines Konkurrenten Pat Buchanan etwas lebendiger und spontaner geworden als Bestattungszeremonien.

Gewiß, es kann immer noch passieren, daß Bob Dole eine Wahlversammlung mit einem gegrummelten „Freut mich, hier zu sein“ begrüßt und dabei ein Gesicht macht, als stünde sein Keller unter Wasser. Auch bei der Auswahl von geeigneten Orten für Fototermine unterlaufen ihm und seinen Wahlkampfmanagern immer noch Fehler. Sich in New Hampshire ausgerechnet vor der „Old Man Ale“-Brauerei ablichten zu lassen war keine geniale Idee für einen 72jährigen, der als ältester Kandidat in der US-amerikanischen Geschichte zum Präsidenten gewählt werden möchte. Auch die Bilder von seinem Besuch einer Metall-Recycling-Anlage in Atlanta bekamen einen ungewollt satirischen Beigeschmack, als er sich genau unter das Schild mit der Aufschrift „Abladestelle für Altmetall“ stellte.

Auch mit dem Verkauf von Visionen im Showgeschäft des US- Wahlkampfs tut Dole sich schwer. US-Amerikaner wollen von ihren Präsidentschaftskandidaten große Gesellschaftsentwürfe hören, Ankündigungen vom Aufbruch in ein neues Zeitalter, vom Beginn einer neuen Mission zur Rettung der Welt oder wenigstens der Familie, von einer höheren Bestimmung, die über solch irdische Probleme wie Inflationsbekämpfung und Haushaltsdefizit hinausgeht. „Leadership“ ist ein Schlüsselwort von fast mythischer Dimension in jedem Präsidentschaftsrennen, was insofern ironisch ist, als die US-amerikanische Verfassung allzu große Führungsambitionen eines Präsidenten effektiv eindämmt. Doch alle vier Jahre während des Wahlkampfes könnte man meinen, es werde eine Kombination aus Moses, Demosthenes und Jimmy Stewart gesucht.

Niemand ist von dieser Mischung weiter entfernt als Bob Dole, der durchaus fähig ist, auf die wiederholte Frage nach seiner Vision für das Land schlecht gelaunt zu antworten: „Es geht um die Zukunft, denn das ist die Richtung, in die wir gehen.“ Es ist beileibe nicht Einfältigkeit, die ihn so etwas sagen läßt. Dole hat sein gesamtes Erwachsenenleben in der Politik zugebracht – davon fast 30 Jahre als republikanischer Senator im US-Kongreß. Daß er im Vorwahlkampf gegen einen Fernsehmoderator mit Boxermentalität und einen Millionenerben mit Vaterkomplex zum Schaulaufen um eine Nominierung antreten mußte, empfand Bob Dole im Grunde seines Herzens als Zumutung. Denn eigentlich war er immer schon der Meinung, daß die Kandidatur ihm aufgrund seiner Opfer und seiner Verdienste einfach zustand. Charles Black, ein ehemaliger Wahlkampfberater Doles, sagt: „Er nährt dieses Gefühl, daß ihm andernfalls etwas Unfaires widerfährt, daß ihm etwas weggenommen wird.“

Daß persönliche Erfahrungen politische Überzeugungen hervorbringen, ist bis zu einem gewissen Grad banal. Im Fall Bob Dole ist es die einzige Möglichkeit herauszufinden, woran er wirklich glaubt. Als Kind hat er die Jahre der Depression in seinem Heimatort Russell im US-Bundesstaat Kansas miterlebt. Die Erfahrung von Armut, kombiniert mit einer per mütterlichen Rohrstock eingetrichterten Arbeitsethik und Schuldenangst, hat aus ihm einen Gegner der Staatsverschuldung gemacht – aber auch einen, dem die Verteufelung des Bundesstaates widerstrebt. Beides unterscheidet ihn grundsätzlich von den Gingrich- Republikanern – auch wenn er ihnen aus purem Opportunismus nie offen widersprochen hat. Sozialprogramme und Steuererhöhungen zur Defizitbekämpfung waren für Dole nie Tabuthemen, was Newt Gingrich einst veranlaßte, ihn als „Steuereintreiber für den Wohlfahrtsstaat“ zu beschimpfen. Solche Meinungsverschiedenheiten haben die beiden Republikaner für die Zeit des Wahlkampfes hintangestellt.

Das größte Opfer hat ihm nicht die Wirtschaftsdepression abverlangt, sondern der Zweite Weltkrieg. Wenige Tage vor Kriegsende war Dole mit seiner Einheit in Italien in ein Gefecht mit deutschen Wehrmachtsoldaten verwickelt. Bei dem Versuch, einen angeschossenen Kameraden in Sicherheit zu bringen, traf ihn ein Granatsplitter in den Rücken. Seine Leute schleppten ihn hinter die eigene Linie, spritzten ihm den letzten Rest Morphium und überließen ihn seinem Schicksal in der Hoffnung, die Sanitäter würden schneller kommen als der Tod.

Im Hospital prognostizierten ihm die Ärzte anfangs keine Überlebenschancen, dann eine Zukunft als Pflegefall. Dole ignorierte die Diagnosen und fand einen Chirurgen, der ihm den linken Arm wieder zusammenflickte. Den rechten trainierte er unter Qualen so lange, bis er ihn angewinkelt an den Körper pressen konnte. Er lernte, einhändig Krawatten und Schnürsenkel zu binden und eine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Seine Nachbarn in Russell sammelten 1.800 Dollar für ein Spezialauto mit linksseitiger Schaltung und fanden einen Schneider, der seine Anzüge umnähte. Bob Dole machte seinen Jura-Abschluß, wurde noch als Student in das Staatsparlament von Kansas und 1960 zum erstenmal in den Kongreß gewählt.

Über seine Kriegsverletzung hat er in der Öffentlichkeit so gut wie nie geredet. Emotionen zu zeigen ist seine Sache nicht – schon gar nicht, wenn man sie als Selbstmitleid auslegen könnte. Das wird sich in den nächsten Monaten vermutlich ändern. Gerade weil es zwischen Bill Clinton und Bob Dole politisch kaum markante Unterschiede gibt, dürfte diese Wahl zu einem Schaukampf der Persönlichkeiten werden: Auf der einen Seite das gefühls- und redefreudige „Comeback-Kid“, auf der anderen Seite der wortkarge, verschlossene Veteran, der mit der Präsidentschaft „eine letzte Mission“ erfüllen will.

„Bob Dole – American Hero“ heißt der Titel seines Wahlkampfvideos, in dem ausführlich sein Kriegseinsatz, seine Verletzung und sein erstaunlicher Genesungsprozeß dokumentiert werden. Gerade weil im Land die Zukunftsangst umgeht, so spekulieren Doles Wahlkampfberater, könnten die Wähler nach einem rufen, der selbst viel durchgemacht hat. Auch wenn er bereits 72 Jahre alt und einmal geschieden ist, auch wenn er in seinem Berufsleben nichts anderes gemacht hat als Politik in Washington – eigentlich keine guten Voraussetzungen in einer Zeit, in der angeblich Kandidaten ohne politische Erfahrung und mit moralisch einwandfreiem Lebenslauf am beliebtesten sind.

Was letzteres betrifft, so ist Doles Konkurrent, obwohl weiterhin in erster Ehe, sehr viel angreifbarer. Zwar schätzt der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat den Präsidenten als Person. Doch das wird Bob Dole nicht davon abhalten, Bill Clinton mehr oder weniger subtil als Ehebrecher, Drückeberger und Symbol einer ichfixierten Baby-Boomer-Generation zu titulieren.

Mit Tony Fabrizio, Don Sipple und Fred Steeper hat Dole drei Wahlkampfberater angeheuert, die in der Branche als Rechtsaußen und Experten für Schmutzkampagnen gelten. Steeper favorisiert als Wahlkampfthemen Protektionismus und Propaganda gegen Homosexuelle. Sipple hat ganz im Stil der deutschen „Republikaner“ für den kalifornischen Gouverneur Pete Wilson TV-Spots entworfen, in denen Aufnahmen von illegalen mexikanischen Einwanderern mit Wagner-Musik unterlegt werden. Fabrizio wollte schon 1992 eine Telefonnummer in Umlauf bringen, unter der alle Welt Tonbandaufnahmen von Bill Clintons Privatgesprächen mit seiner Exgeliebten Gennifer Flowers hätte lauschen können.

Die Maxime ist klar: Der Zweck heiligt die Mittel. Bei aller Sympathie für die Person Bob Dole, schreibt Stanley Hilton, sei dessen „totaler Mangel an Prinzipientreue und Idealen einfach widerwärtig“. Hilton arbeitete von 1979 bis 1980 in Doles Senatsbüro und hat nun eine kritische Biographie mit dem Titel „Senator For Sale“ über seinen Exchef verfaßt. Was der Mann aus Kansas als Pragmatismus und die US-Presse als Mangel an Visionen beschreibt, hält Hilton für puren Opportunismus, der vor allem in den letzten beiden Jahren in Doles Kniefällen vor dem rechten Parteiflügel deutlich geworden sei: Um diesem seine Präsidentschaftsambitionen nicht zu vergraulen, hat Dole Verfassungszusätze zum Verbot der Abtreibung und zur Wiedereinführung des Schulgebets gefordert. Um sich die Spendengelder und Stimmen der Waffenlobby zu sichern, sprach er sich dafür aus, das Verbot bestimmter Schnellfeuerwaffen wiederaufzuheben. Als die öffentliche Stimmung nach dem Bombenanschlag in Oklahoma City umschlug, ließ Dole das Thema fallen. Eine seiner beliebtesten Zielscheiben ist derzeit die Filmindustrie in Hollywood und deren vermeintlich verderblicher Einfluß auf die US-amerikanische Jugend durch Gewalt (!) und Sex – auch wenn er ab und an auf Nachfrage zugeben muß, daß er die Filme, die ihn angeblich so empörten, gar nicht gesehen hat.

Hiltons Hauptkritik aber richtet sich gegen Doles unbestrittenes Talent, Wahlkampfspenden von enormer Höhe einzusammeln – und sich bei den Absendern durch legislative Gefälligkeiten erkenntlich zu zeigen. Mit Hilfe eines Netzes von Stiftungen, Komitees und Wohltätigkeitsvereinen hat Dole seit 1973 über 70 Millionen Dollar eingesammelt. Zu den großen Spendern gehören seit Jahren der Agro-Konzern „Archer-Daniels- Midland“ (ADM) und die Gallo- Winzerei in Kalifornien. Für ADM sicherte Dole im Gegenzug Bundessubventionen; den Inhabern der Gallo-Winzerei sparte er mit Hilfe eines kleinen Gesetzeszusatzes Erbschaftssteuern in Höhe von 100 Millionen Dollar.

Laut Hilton zeichnete Dole als Verfasser oder Unterstützer von 600 Ausnahmeregelungen zum Steuerreformgesetz von 1986 mitverantwortlich, von denen Privatfirmen profitierten, die sich ihrerseits erkenntlich zeigten. Dole verstünde seine Aufgabe als Politiker wie ein Mann, der das Verkehrsreferat einer großen Stadt leite, schreibt der Publizist Thomas Powers im New York Review of Books. „Er versucht, alles im Fluß zu halten, mit einem Minimum an Zusammenstößen, Staus und öffentlichen Ausgaben sowie gelegentlichen Gefälligkeiten für seine Freunde.“

Letzteres ist freundlich untertrieben. Die „Gefälligkeiten“ sind längst fester Bestandteil von Bob Doles Politik und Philosophie. Er findet daran überhaupt nichts verwerflich. So betrachtet, sind seine Freunde vielleicht gar nicht traurig, sollte er im November gegen Bill Clinton verlieren. Als Senator ist Dole ihnen viel nützlicher denn als Präsident.