■ Die Universitäten sind auf Mittelmaß gesunken und können sich deshalb nicht gegen Stellenstreichungen wehren
: Amputierte Zukunft

30.000 junge Leute weniger in der Stadt, in der sie lernen und Wissen erwerben und, wenn es geht, auch etwas Praktisches damit anfangen wollen. So will es der Berliner Senat, der sparen muß.

Von den Universitäten war kein Aufschrei zu erwarten. Sie sind politisch stimmlos, sind für die Stadtgesellschaft keine Institution, die mit eigener Autorität sprechen könnte. Die Hochschulen und die Stadt unterhalten zueinander nur ein beziehungsloses Verhältnis. Sie haben sich nichts zu sagen. Daß die Universitäten nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der Zukunft der Stadt um die 30.000 Stellen kämpfen könnten, das fällt dort niemandem ein.

Und da sie sich nicht ausdrücken, ihre Rolle als Institution nicht behaupten wollen, weiß kaum jemand in der Stadt, wie sie beschaffen sind. Daher kann die Frage, wozu sie überhaupt da sind, auch in der kleinen politischen Klasse, die sich nur von Lobbys und Anspruchsträgern umstellt sieht, niemanden zum Grübeln bringen. Einen Bildungspolitiker von Statur hat die Stadt ohnehin seit mindestens anderthalb Jahrzehnten nicht mehr gesehen.

Freilich, nicht nur in Berlin werden die Universitäten heute als unumgängliche Kostgänger des Staates betrachtet, deren Existenzberechtigung und Wirklichkeit man nicht mehr verstehen muß. Berlin ist nur insofern auffälliger, als in seinem Westen die Hoffnungen auf eine Erneuerung der deutschen Universität vor rund dreißig Jahren hochgespannt waren wie sonst nirgends in der alten Bundesrepublik – und das Scheitern ist um so schlimmer.

In den 70er Jahren wurden die Universitäten mit der Aufforderung zur Öffnung getrieben, als Stätten der Berufsausbildung für vermehrte Gleichheitschancen zu sorgen – ein unabweisbarer Befehl des Wohlfahrtsstaates. Der wurde um so bereitwilliger aufgenommen, als mit dem Verdämmern des Bildungsbürgertums und nach dem kompromittierenden Versagen vor dem Dritten Reich es an leitenden Ideen, an den ehemals „höheren“ Rechtfertigungen fehlte. Außerdem versprach die eindeutige Zweckausrichtung eine fast unbeschränkte Ausweitung der Universitätsmaschinerie und somit neue Stellen – nunmehr auch für die kräftige Generation der Sozialaufsteiger, die in die Professorenschaft eindrangen. Sie erwies sich unter dem moralischen Praxisgebot als besonders expansionssüchtig und apparatgläubig.

Nachdem die zarten Triebe einer neuhumanistischen Reform aus den 60er Jahren schon bald vertrocknet waren, sorgte diese Generation für die Durchdringung der Universität mit ökonomischer Vernunft. Bereits in den 70er Jahren betrachteten sich die Hochschulen am liebsten als moderne Dienstleistungsunternehmen, die vor allem den Zweck hatten, einen ständig anwachsenden Teil der Bevölkerung mit Diplomen ihrer Berufsfähigkeit auszustatten.

Die moralische und politische Ohnmacht der Universitäten gegenüber der besinnungslosen Rasenmäherei der Finanzminister ist also das Ergebnis ihres planlosen Wachstums und ihres ökonomistischen Selbstverständnisses. Als Dienstleistungsunternehmen für die Fabrikation von Berufsdiplomen haben sie den Markt als oberste Regelungsinstanz anerkannt. Doch der Markt funktioniert nicht mehr. Zum einen, weil in einer Gesellschaft mit struktureller Arbeitslosigkeit die Nachfrage nicht nur stetig zurückgeht, sondern auch heftig schwankt.

Zum andern werden die Berufsbilder, die Berufsprofile unter dem raschen technischen und sozialen Wandel immer schneller unscharf, kommen aus dem Verkehr. Der Wert der industriegesellschaftlichen Beruflichkeit, in der man mit der praktischen Tätigkeit auch Lebenserfahrung, Reife, kurz: Persönlichkeit erwarb, sinkt unter den Mobilitätszwängen des internationalisierten Kapitalismus. Zwar hat es sich längst herumgesprochen, daß die Unternehmen mehr und mehr an rundum optimierten, sprachfähigen und allgemein gebildeten Absolventen interessiert sind. Aber wie sollen die Universitäten, die sich so lange auf den Fachmenschen ausgerichtet haben, solche Allgemeinbildung noch herstellen? Zumal auch die Nachfrage danach völlig unklar ist.

Die Berliner Karawansereien für schlecht organisiertes Wissen bieten keinen erfreulichen Anblick. Betritt man sie, so merkt man sogleich, daß hier viel Zeit sinnlos verwartet wird, daß Wißbegier und Lebensinteresse massenhaft vergeudet werden. Und weil der Ertrag der Lehre, sei sie gut oder schlecht, beliebig ist, wird auch die Lehre selbst beliebig. Wer noch irgend an der Idee hängt, daß die Vernunft der Wissenschaft auch mit einer Vernünftigkeit ihrer Organisation und ihrer Mitteilbarkeit verbunden sein müßte – für den müssen diese Universitäten ein Graus sein.

Aber: So chaotisch diese Riesenablagen für den Umsatz des Wissensallerleis auch sind, sie sorgen für soziale Beweglichkeit, bieten Chancen für beruflichen und intellektuellen Lebenserwerb, enthalten sogar Nischen für Fortschrittsgeist und Aufklärung. Wer in ihnen ein Diplom erwirbt, hat selbst heute noch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und auch wer sie nur ein paar Jahre lang zu benutzen weiß, um sich, in Gottes Namen diplomlos, in der gegenwärtigen Welt besser orientieren zu können, trägt einen Profit für sich und andere davon.

Nichts mehr als junge Leute, die im Universitätsdschungel zurechtgekommen sind, braucht diese müde gewordene, verschlurfte, ältlich graue Stadt. In ihrem Westen hat sich seit der Wiedervereinigung das Lebenstempo vermindert, stockt die Durchblutung. Die Bevölkerung des von heute auf morgen deindustrialisierten Ostens fällt in vorurbane Langsamkeit zurück. Zu metropolitaner Beweglichkeit, zu stadtbürgerlichen Ansprüchen hat sie es ohnehin nie bringen können. Und die Massenarbeitslosigkeit fördert auch im Westen, der erst zur Endmauerzeit mobiler geworden war, Trägheit und Defätismus. Daimler-Benz und ein Stück Bundesregierung werden daran wenig ändern. Berlin wird einstweilen bleiben, was ihm bald nach dem Mauerfall ein TU-Professor prophezeite: Armutsmetropole des Ostens. Da sollte es nicht auch noch die studentische Jugend vertreiben, die mit der Armut noch immer am besten zurechtkommt.

Vielleicht denkt im Berliner Senat eines Tages doch wieder einmal jemand über Reform und Erneuerung nach. Und erinnert sich daran, daß das, was heute Humboldt-Universität heißt, in Preußens tiefster Not gegründet worden ist. Claus Koch