: Meinungsforscher als Meinungsmacher
Kohls Lieblingsdemoskopin Noelle-Neumann manipuliert Umfrageergebnisse und betreibt damit Wahlhilfe für die Bürgerkoalition. Rep-Zahlen rechnet sie herunter ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Sie ist eine konservative Überzeugungstäterin. Wenn es eng wird für die bürgerlichen Parteien, dann ist Elisabeth Noelle-Neumann mit ihrem Institut für Demoskopie in Allensbach stets zur Stelle. Dann streift Kohls Lieblingsdemoskopin ohne Scheu alle wissenschaftlichen Fesseln ab.
Nicht immer kommen die Manipulationen indes so offensichtlich ans Tageslicht, wie jetzt bei den Allensbach-Prognosen im Vorfeld des baden-württembergischen Landtagswahl. Hier veröffentlichte das Institut noch kurz vor der Wahl Umfrageergebnisse, denen zufolge die Reps bei 4,5 Prozent lagen. Tatsächlich war den Allensbachern aber klar, so räumte die Geschäftsführerin Renate Köcher gegenüber der Frankfurter Rundschau ein, daß die Rechtsradikalen „mindestens sieben Prozent“ erhalten würden. Ihr tatsächliches Ergebnis lag bei 9,1 Prozent.
Eine Überzeugungstäterin: Schon bei der Landtagswahl 1992 schlug Noelle-Neumann nach diesem Muster im Ländle zu. Noch drei Tage vor der Wahl machte sie seinerzeit der CDU Hoffung auf eine absolute Mehrheit – und den Reps traute sie ganze 4,9 Prozent zu. Über diese Aussage war Dieter Roth von der Forschungsgruppe Wahlen seinerzeit „sehr erregt“, weil es für seriöse Meinungsforscher damals „allenfalls fraglich war, ob das Ergebnis der Reps ein- oder zweistellig ausfallen würde“. Weil diese Prognose jedoch nicht ins politische Konzept der Kohl- Beraterin paßte, rechnete sie die Reps auf unter 5 Prozent herunter.
Doch das Kalkül mit der Angst vor dem Scheitern an der Fünfprozenthürde ging im konservativen Lager nicht auf: Viele CDU-Wähler liefen trotzdem zu den Reps über und verspielten so die CDU- Alleinherrschaft. Es folgte die Große Koalition.
Daß die CDU nun zusammen mit der FDP regieren kann, freut Noelle-Nemann ganz besonders. Um die FDP sorgt sich die 70jährige seit Jahren – aus Angst vor einer strukturellen Mehrheit der Linken: „Ein Aus für die FDP wäre eine grundlegende Änderung des Parteiensystems. Die Republik würde gewaltig nach links driften.“ Das zu verhindern ist der Frau, die darauf hofft, „daß unsere Gesellschaft künftig stärker von Mitte- rechts-Werten geprägt wird“, jede Mühe wert.
Beispiel Europawahl 1994: Als alle Welt die FDP schon am Ende sah, hielt sie mit allen Mitteln dagegen. Ungewichtet hatte ihre Umfrage in der Zeit vom 13. bis 27. Mai ein Ergebnis für die FDP von 4,9 Prozent erbracht. Durch eigene Gewichtung trieb sie diese Zahl auf 6,5 Prozent hoch, die sie dann unmittelbar vor dem Wahltermin am 12. Juni 1994 in der FAZ veröffentlichte. Doch beim Urnengang nutzte diese FDP-Wahlhilfe nicht viel: Die Liberalen scheiterten mit 4,1 Prozent. Während sie selbst die Liberalen ohne Skrupel hochjazzt, wirft sie dem Dortmunder Meinungsforschungsinstitut „forsa“ und dessen Chef, Manfred Güllner, Stimmungsmache gegen die FDP vor. Kurz vor der Bundestagswahl, im September 1994, hatte eine Forsa-Umfrage die FDP bei 4 Prozent angesiedelt und damit den Zorn des bürgerlichen Lagers auf sich gezogen. Weil Güllner seinerzeit die FDP schon als „Splitterpartei“ enden sah, suchten konservative Institute ihm einen Verstoß gegen Berufsgrundsätze anzuhängen. Das ging bis zu dem Versuch, ihn aus dem Arbeitskreis Deutscher Marktforschungsinstitute (ADM) herauszudrängen. Bisher vergeblich. Vor Gericht setzte Güllner sich durch. Der Welt am Sonntag gegenüber zeigte sich Noelle-Neumann kürzlich ganz „betrübt“ darüber, wie „forsa“ sich „dazu hergegeben“ habe, über die FDP Zahlen zu veröffentlichen, „die definitiv zu niedrig waren“. Darüber, daß ihre eigenen Zahlen oft noch weiter von den tatsächlichen Ergebnissen entfernt lagen – nur mit umgekehrten Vorzeichen – verschwieg die konservative Eiferin im Springer- Blatt.
Ganz grundsätzlich geht der Wuppertaler Mathematikprofessor Fritz Ulmer mit den Demoskopen ins Gericht. Sie lieferten aufgrund der statistischen Modellfehler, so Ulmer schon 1994 in der taz, „keine brauchbaren Aussagen“, sondern betrieben mit ihrem „Gewichtungshokuspokus“ unisono „die systematische Wählertäuschung in wissenschaftlicher Verpackung“. So würden diejenigen Wähler „getäuscht“, die mit Blick auf die Umfrageergebnisse ihre Wahlabsichten änderten. Etwa weil „sie aus taktischen Gründen ihre Zweitstimme einer anderen Partei geben, als sie ursprünglich wollten“. Nach dem Allensbach- Coup von Stuttgart steht fest, daß diese Täuschung nicht nur eine unvermeidliche, aber ungewollte, Begleiterscheinung eines Modells ist, sondern bewußt von Meinungsmachern wie Noelle-Neumann angestrebt wird.
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