Vereinigungs-Roman,nein danke

■ Walter Kempowski arbeitet lieber die ferne Vergangenheit auf

Der Schriftsteller Walter Kempowski fühlt sich nicht berufen, einen Roman über die Lage in Deutschland nach der Wiedervereinigung zu schreiben. Das müsse jemand machen, der die Enwicklungen konkreter miterlebt habe als er oder in sie verstrickt war. „Jemand, der sich sehr gefreut oder sehr gelitten hat“, meinte Kempowski am Mittwoch abend anläßlich einer Diskussion zu seiner Auszeichnung mit dem Großen Bundesverdienstkreuz in Hannover.

Der Oldenburger Literaturwissenschaftler Prof. Manfred Dierks hatte ihm nahegelegt, nach seinen Kollegen Günter Grass, Christa Wolf oder jetzt Martin Walser ein Buch zur „Lage der Nation“ zu schreiben. „Alle warten doch auf ein solches Werk“, meinte Dierks. Kempowski gab zu, bereits ein Buch über das Jahr des Mauerfalls 1989 verfaßt zu haben. „Aber als Peter Rühmkorf eines über genau dieselbe Zeit herausbrachte, habe ich meines schnell zurückgezogen. Sonst werden wir noch verglichen“, erklärte er.

Der 1929 in Rostock geborene Reeder-Sohn, der acht Jahre im DDR-Zuchthaus Bautzen wegen Spionageverdachts einsaß, gräbt nach eigenen Worten tiefer: „Mich bewegt der Mai 1945, als das Abendland zu Grunde ging. Alle Probleme, die wir heute haben, gehen darauf zurück.“ Die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands seien „Teil des Unglücks von 1945“.

Deutschland muß seiner Ansicht nach mehr Geduld aufbringen, um die Probleme zu bewältigen, die die Wiedervereinigung hervorrief. „Es braucht mindestens eine Generation. In 30 Jahren können wir uns darüber unterhalten, ob die Wiedervereinigung geglückt ist“, sagte der Schriftsteller. Deutschland sei geteilt, die Welt sei geteilt und überall würden „Deckel auf riesige Pötte“ gesetzt. „Doch drinnen schmort es“, warnte Kempowski.

Geduld sei auch nötig im Umgang mit den Akten der Gauck-Behörde. „Wir haben kein Recht, Menschen zu verbieten, in ihre Akte zu gucken“, meinte Kempowski. Doch: „Wenn der letzte Spitzel erkannt ist, wird das aufhören.“ Er selber aber spüre keine Rachegefühle gegenüber den ehemaligen Machthabern der DDR. „Ich habe mit meiner Schuld zu tun, die Richter mit ihrer“, erklärte der Schriftsteller. Als er vor einigen Jahren zum ersten Mal wieder seine Zelle im Zuchthaus besuchte, habe ihn „das völlig kalt gelassen“.

dpa