■ Vor 50 Jahren: Urabstimmung in der SPD
: Blick zurück im Zorn

Nur eine halbe Stunde war das Wahllokal im Bezirk Mitte offen. Dann kamen die Sowjets und schlossen es, schließlich hatten sie die Abstimmung in Ost-Berlin nicht zugelassen. Trotzdem konnten die bereits abgegebenen 140 Stimmzettel in den Westen geschmuggelt werden. Dort wachten am 31. März 1946 die Westalliierten über die Urabstimmung unter den SPD-Mitgliedern. „Bist du für den sofortigen Zusammenschluß beider Arbeiterparteien?“ lautete die Frage. Das Ergebnis war eindeutig: 82 Prozent der Westberliner Sozialdemokraten wollten keine Vereinigung der SPD mit der KPD zur SED.

Zum 50. Jahrestag dieser Urabstimmung will die SPD die Verschmelzung, die im Osten erfolgte, ins Gedächtnis rufen. Und sie legt Wert auf den Begriff „Zwangsvereinigung“ – anders als die PDS. Das wird auch am kommenden Samstag deutlich werden, wenn die Berliner Sozialdemokraten in einer öffentlichen Veranstaltung unter dem Titel „Links und frei!“ der Parteienvereinigung gedenken. Zum Jahrestag brachte die SPD auch die Broschüre „Zwangsvereinigung von SPD und KPD in Berlin“ mit drei Aufsätzen heraus. Damit wollen die Sozialdemokraten der Erklärung der Historischen Kommission der PDS „Zum 50. Jahrestag des Zusammenschlusses von KPD und SPD“ Paroli bieten, die sie für „Geschichtsklitterung“ halten. Denn die PDS vermeidet den Begriff „Zwangsvereinigung“. Lieber spricht Parteichef Lothar Bisky von „Elementen von Zwang“.

Für SPD-Landesgeschäftsführer Rudolf Hartung steht aufgrund neu entdeckter Dokumente endgültig fest, daß der Vereinigungsdruck aus der Sowjetunion noch stärker war als bisher angenommen. Diesem Druck hätten sich einige Sozialdemokraten auch gebeugt, räumt Landeschef Detlef Dzembritzki ein, weil sie „in der SED eine – später meist bitter enttäuschte – Hoffnung sahen“. Er hält den Streit um die Verschmelzung für eine „gespenstische Diskussion“, sprächen die Fakten doch eindeutig für die Berechtigung des Begriffs „Zwangsvereinigung“. „Auch wenn manch einer in der SPD den ehrlichen Willen zur Zusammenarbeit mit der KPD bekundete.“

Dabei verschweigt der SPD- Chef allerdings, daß gar nicht so wenige dies wollten. 62 Prozent der SPDler sprachen sich immerhin in der zweiten Abstimmungsfrage an jenem 31. März für ein Bündnis mit der KPD aus, „welches gemeinsame Arbeit sichert und den Bruderkampf ausschließt“.

Erfreut merkt die SPD jedoch jetzt an, daß in dem PDS-Papier erstmals „der eigentliche Beweggrund für die Einheitskampagne seit Herbst 1945“ genannt werde: Die Sowjetunion hatte Angst, daß die Kommunisten im Osten den Sozialdemokraten weit unterlegen und dann „kein verläßlicher Partner mehr“ seien. Wie Moskau die Vereinigung durchzusetzen versuchte, schildert Wolfgang Leonhard, den die SPD als „Kronzeugen“ anführt. Der Publizist war Mitglied der „Gruppe Ulbricht“. Er berichtet von Geheimmitgliedern der KPD in anderen Parteien und von Plänen der Sowjets, den SPD-Spitzenplitiker Gustav Dahrendorf von seinen eigenen Söhnen bespitzeln lassen wollten; Leonhard berichtet auch, daß ein bekanntes SPD-Mitglied mit einem neuen BMW und 300.000 Mark Honorar für ein Buch, das sein Sekretär geschrieben hatte, bestochen wurde. Leonhard gibt auch zu, daß sich bereits im Herbst 1945 die Verhaftungen von nicht vereinigungswilligen Sozialdemokraten häuften. Meist wurden sie von sowjetischen Militärtribunalen durch Fernurteil zu 25 Jahren Haft verurteilt. Die SPD legte zum Jahrestag eine Liste mit 180 Namen Verhafteter vor, als „Beispiel für viele tausend“. Bernd Kastner

Die Gedenkveranstaltung „Links und frei!“ findet am Samstag, 30. März, um 14 Uhr in der Urania statt.