Das Portrait
: Medimaskottchen

■ Heinrich Heß

Nationalmediziner Heinrich Heß hört auf Foto: C. Bergmann

Thomas Gottschalk würde ihn sicher gerne engagieren: Wetten, daß Heinrich Heß die Fußballnationalspieler der letzten zweieinhalb Jahrzehnte an den Röntgenbildern ihrer Knie erkennt? Beckenbauer, Rummenigge, Matthäus? Er hatte er sie alle auf der Bahre. Doch nach 27 Jahren voller O-Beine und Wadenkrämpfe, vertan mit großflächigen Hämatomen, nach 27 Jahren als Arzt im Dienste des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wird Professor Heinrich Heß noch vor der im Sommer anstehenden Europameisterschaft in England Abschied nehmen.

Die offiziellen Gründe sind gesundheitliche, doch die Probleme bei der Verteilung der ärztlichen Kompetenzen waren in den letzten Jahren nicht zu übersehen. Weil die Nationalmannschaft wie ein barocker Hofstaat funktioniert, lassen die gutbezahlten Maladen eher den eigenen Leibarzt einfliegen, als sich von fremden Händen durchkneten zu lassen. Der Arzt der Wahl hieß in letzter Zeit fast nur noch Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, ein Mensch aus München, der auch äußerlich besser zur neuen Generation der Yuppie-Fußballer paßt. Konsequenterweise wurde er im vergangenen Jahr ebenfalls dem DFB-Medizinteam einverleibt. Heß wurde immer weiter an den Rand gedrängt, und Kritik ließ nicht auf sich warten. Falsche Diagnosen wurden ihm unterstellt, die hämische Kollegen dann öffentlich berichtigten.

Elf Europa- und Weltmeisterschaften hat der 64jährige Chefarzt einer orthopädischen Klnik mitgemacht. In den letzten Jahren war er kaum noch mehr als ein Maskottchen. Die Kicker nannten ihn „Heini“. Wenn sich ein Nationalkorpus angeschlagen auf dem Rasen wälzte und daraufhin Heß und sein mit schlohweißen Haaren geschlagener Kollege Prof. Keul, in der einen Hand das schwarze Köfferchen, in der anderen die schußbereite Eisspraydose, aufs Spielfeld hasteten, gemahnten die beiden eher an Pat und Patachon als an zwei Spitzenmediziner im Notfalleinsatz.

Josef Schmidt (50), derzeit Teamarzt bei Bayer Leverkusen und der U-21-Juniorenauswahl, ist der mutige Nachfolger, der sich mit Müller-Wohlfahrt um die wunden Schenkel streiten wird. Währenddessen träumt Heinrich Heß davon „die Länder zu bereisen, die bei den Länderspielen nur an mir vorbeigeflogen sind“. Vielleicht werden ihn ein paar vermissen. Aber darauf sollte man besser nicht wetten. Nina Klöckner