■ Trennung von Kirche und Staat ist Chance für Neuanfang
: Die frohe Botschaft reicht nicht mehr

Geht man vom Bildungsinteresse der jungen Leute aus, dann ist der Konflikt um die Unterrichtsfächer LER und Religion, der gestern im Brandenburgischen Landtag ausgetragen wurde, kaum zu verstehen. Denn nach allem, was über Schulen bekannt ist, sind bedeutsame Bildungswirkungen von den Inhalten des Schulstoffes kaum zu erwarten – in diesen Fächern so wenig wie in Biologie oder Mathematik.

Das wissen selbstverständlich auch die Anwälte des Religionsunterrichts. Sie setzen vor allem auf die Wirkung des „heimlichen Lehrplans“ und wollen den Schülern die Erfahrung „gelebter Überzeugungen“ zugänglich machen, woran es dem wissenschaftlichen Unterricht sonst fehle. Wissenschaftlichkeit der Bildung wird hier lediglich als Vermittlung von Wissen begriffen. Dieses Mißverständnis teilen die Kirchenvertreter mit der marxistisch-leninistischen Bildungsauffassung. Tatsächlich ist wissenschaftliches Argumentieren ethisch ein höchst anspruchsvolles Verhalten: Es verlangt Autonomie im Umgang mit den eigenen Impulsen und äußeren Mächten, von denen suggestiver Einfluß oder Denkverbote ausgehen können, Eigenverantwortlichkeit angesichts von Ungewißheiten und nicht zuletzt die Anerkennung des Gegenübers als Gleichem. Eine Werterziehung kann dem nur wenig hinzufügen.

Die Befürchtung, daß die christliche Tradition verdorre, wenn Kirche und Staat getrennt und der rechtliche Status des Religionsunterrichtes herabgestuft würde, verkennt Ursache und Wirkung. Das öffentliche religiöse Leben siecht in der Bundesrepublik in der Tat dahin. Die Geistlichkeit predigt vor leeren Kirchenbänken, aber nicht nur in den neuen Bundesländern. Die Amtskirche hat mit der Durchsetzung der demokratischen Kultur an Autorität verloren. Die Ursache dafür ist ebenfalls Teil unserer christlichen Tradition: Die staatlich privilegierten Kirchenanstalten in Deutschland wurden durch den Sieg der liberalen Demokratie geschwächt.

Die Trennung von Staat und Kirche, die die Mehrheit im Brandenburgischen Parlament im Auge hat, könnte zu einer Neuorientierung in den Kirchen beitragen. Deren heutiger Zustand bezeichnet nicht das Ende christlicher Religiosität, weder im Osten noch im Westen, sondern nur das Ende einer hergebrachten Form. Es macht den Weg frei für neue Formen, die der Religionsfreiheit besser entsprechen. Die Forderung nach Religion als Wahlpflichtfach aber ist „kleingläubig“, weil sie sich nicht auf die Überzeugungskraft der „frohen Botschaft“ verläßt, sondern auf staatliche Privilegien. Gero Lenhardt

Soziologe am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin