Rind oder Wahnsinn?

■ Reale Bedrohung und Hysterie durch BSE

Osterhasen dürften eigentlich kein Problem sein – bloß woher stammt die Milch? Bei Gummibärchen sieht's eher schlecht aus – die enthalten Rind, angeblich aber kein Hirn. Und was ist mit Tortellini – Rindfleischfüllung? Was immer unsere Lebensmittel enthalten, und woher es stammt, eines ist sicher: Dies ist der Stoff, aus dem Hysterien sind. Will jemand im Ernst behaupten, durch das Embargo britischen Rindfleisches sei für den Festlandseuropäer die Kuh vom Eis? Dann müßten alle auf dem Markt befindlichen Kosmetika, pharmazeutischen Produkte und Lebensmittel auf problematische Inhaltsstoffe überprüft werden. Ein kleiner Hinweis für den Tengelmann um die Ecke: Bitte auch an Süßwaren, Ravioli, Rinderbrühe (klar und trüb), Suppen und Saucen denken!

Seit zehn Jahren läuft die Diskussion über BSE und mögliche Gefährdungen für den Menschen. Es steht sehr zu bezweifeln, daß sich die wissenschaftliche Datenlage mit einem Mal so sehr gändert hat. Eine Münchner Patientin mit untypischen Creutzfeld-Jakob-Symptomen, die jahrelang als Küchenhilfe auch Hirn verarbeitet haben soll, kann kaum Fundament einer wissenschaftlichen Theorie sein. Die Wahrheit ist, daß wir die Wahrheit nicht kennen, und daran hat sich auch in diesen Tagen nichts geändert. Anzeichen für einen Zusammenhang zwischen BSE und dem Creutzfeld-Jakob-Syndrom gab es schon lange. Neu ist jetzt lediglich der Mut, mit dem das ausgesprochen wird. Was erst geleugnet wurde, führt jetzt unmittelbar zur Panik. Diese Panik macht sich zwar an einem Kern realer Bedrohung fest, mit der Datenlage ist sie jedoch kaum zu erklären.

Das alles erinnert an die Aids-Hysterie Mitte der achtziger Jahre, auf deren Höhepunkt der Stern titelte: „Jeder vierte, der das liest, hat Aids.“ Auf dem Titelbild derselben Illustrierten stand gestern: „Die unheimliche Seuche: Rinderwahn.“ Für den Verbraucher ist das alles nicht gedacht, der ist völlig überfordert. Vor zwei Wochen noch, als konsequent alle Hinweise geleugnet wurden, wurde er seinem Schicksal überlassen. Heute muß man damit leben, zwischen Hysterie und realistischer Befürchtung unterscheiden zu müssen. Auf der Strecke bleibt das ernsthafte Anliegen vorbeugender Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers. Micha Hilgers