Ich wollt', ich wär' kein Huhn

■ Wahnsinn: Bürger kaufen Huhn und Schwein statt Rind. BSE wird Thema auf der Turiner EU-Konferenz

Berlin (taz/AP/dpa/AFP) – „Auf dem Rindfleischmarkt ist es totenstill“, sagt der Direktor des Bayerischen Bauernverbandes, Hans Kulmus. Viele Metzger sind de facto arbeitslos, weil die VerbraucherInnen kein Steak und Gulasch mehr kaufen wollen. Sie haben Angst vor der Rinderseuche BSE, die möglicherweise auch tödliche Folgen beim Menschen auslösen kann. Huhn und Schwein haben dagegen Hochkonjunktur.

Die Schlachthöfe nehmen so gut wie keine Rinder mehr an. In München kommen nur 20 Prozent der normalen Menge unters Messer. Auch andere Landesteile melden massive Einbrüche. Mehrere Länder und Städte haben Krisentelefone eingerichtet. „Manche Leute rufen stotternd vor Angst an“, berichtet eine Ärztin vom Düsseldorfer Gesundheitsamt.

Gesundheitsminister Horst Seehofer will sich jetzt als Vorreiter profilieren, nachdem er in den letzten beiden Jahren das vom Bundesrat geforderte totale Importverbot durch laschere Dringlichkeitsverordnungen stets blockiert hatte. Ab sofort muß jeder Rinder- und Rinderfleischlieferung nach Deutschland ein Zertifikat beiliegen, das bescheinigt, daß die Ware nicht aus Großbritannien oder der Schweiz stammt. Auch Rinder aus anderen Staaten, in denen schon einmal ein BSE-Fall aufgetreten ist, sollen nicht mehr nach Deutschland geliefert werden dürfen. Wie Seehofer die Papiere kontrollieren will, bleibt unklar. EU-Agrarkommissar Franz Fischler hat jedenfalls schon einmal angekündigt, daß die EU eine „eigene Truppe von Kontrolleuren“ ins Vereinigte Königreich entsenden will. Sie soll den Briten auf die Finger schauen – schließlich hält der dortige Regierungschef das ganze Problem vor allem für „kollektive Hysterie“. Während viele Schlachter in Deutschland auf Kurzarbeit null gesetzt sind, befinden sich ihre Kollegen in den Niederlanden voll im Streß: Die Regierung hat angeordnet, daß alle 64.000 Kälber, die in den letzten Monaten aus Großbritannien importiert wurden, getötet werden müssen. Die Bauern sollen Schadensersatz aus der Staats- und EU-Kasse bekommen. Auch in Brandenburg, Sachsen- Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wurden schon Tiere prophylaktisch umgebracht.

Großbritanniens Premierminister John Major jammert unterdessen darüber, daß mittlerweile 33 Länder ein Importverbot für britisches Rindfleisch verhängt haben. Sein erklärtes Ziel auf dem heute beginnenden EU-Gipfel ist es denn auch, das von der Europäischen Union verhängte totale Exportverbot für sein Land so schnell wie möglich aufzuheben. Seine Regierung beriet gestern über Schritte, wie das Vertrauen in britisches Rindfleisch wiederhergestellt werden könne.

„Wir brauchen nun Taten, was immer es kostet!“ forderte gestern der britische Landwirtschaftsverband. Er schlug vor, alle Rinder zu schlachten, die vor 1989 noch mit verseuchtem Tiermehl gefüttert worden sind. Nach Angaben von Landwirtschaftsminister Douglas Hogg würde diese Maßnahme die Regierung über fünf Jahre jeweils 550 Millionen Pfund im Jahr kosten. Dieses Geld will sich Major vermutlich am Wochenende von seinen EU- Kollegen zusichern lassen. aje Seite 7