Lebendige Geschichte im Vorbeigehen

■ Das Museum der Arbeit stellt seine neue Stadtrundgänge-Saison vor

Zusammenhänge erschließen sich oftmals erst auf den zweiten Blick: Ein seltsam versetztes Portal, das statt über dem Eingangstor oberhalb von zwei Fenstern angebracht ist, kann mit entsprechendem Hintergrundwissen viel über das alte Speichergebäude und – weitergehend – über die Stadtgeschichte preisgeben: Hier etwa, daß Ende des 19. Jahrhunderts, mit der Einrichtung des Hamburger Freihafens, der Cremon-Speicher Nummer 34 aus dem zollfreien Gebiet der Hansestadt herausfiel und dem Steuersystem des Deutschen Reiches angegliedert wurde. Die Geschäftsleute mußten sich vom Übersee- auf Binnenhandel umstellen. Um das Gebäude weiter nutzen zu können, brachen sie kurzerhand Luken zur Straßenseite in das Haus. Das klassizistische Hermes-Relief über dem Eingang wurde seitlich versetzt.

„Dies ist ein Beispiel, wie sich an der Architektur Stadt- und Sozialgeschichte ablesen läßt“, erklärt Ursula Schneider als Organisatorin der Stadtrundgänge und ergänzt: „Diese Art der Stadtentwicklung läßt sich nicht im Museum vermitteln.“

Deshalb organisiert das Museum für Arbeit seine Rundgänge. Der Einrichtung, die erst im Januar 1996 in einem eigenen Haus ausstellen kann, ist es so möglich, in diesem Bereich Wissen „im Vorbeigehen“ zu vermitteln. Seit 1985 wird hier – jenseits der Sight-Seeing Touren – Alltags- und Industriegeschichte dargestellt. Je nach Art der Spaziergänge setzen sich auch die Teilnehmer unterschiedlich zusammen: Führen die Routen durch die Speicher und Kontore der Stadt, werden sie häufig von Touristen besucht, während stadtteilbezogene Rundgänge wie in St. Georg oder Altona eher von Hamburgern genutzt werden. Insgesamt besuchen jährlich zwischen 10.000 und 15.000 Menschen diese Führungen.

Zusammen mit drei freien Mitarbeitern geht es Ursula Schneider darum, eine „Schule des Sehens“ für die kleinen Details und die großen Zusammenhänge aufzubauen. Darüber hinaus sollen aktuelle Planungen offengelegt und auf kontroverse Diskussionen um Denkmalschutz, Umgestaltung oder Abriß von Gebäuden, Plätzen und Straßenzügen hingewiesen werden.

Auf dem jetzt für den Sommer vorgestellten Programm finden sich 20 Rundgänge mit den unterschiedlichsten Themenschwerpunkten.

Marcus Peter

Alle Rundgänge beginnen Sonntags 14 Uhr an unterschiedlichen Treffpunkten, dauern in der Regel zwei Stunden und kosten acht Mark. Saisonauftakt ist der morgige Sonntag. Nähere Informationen gibt es unter Tel.: 29 84 23 88 oder 32 11 91.