"Das ist wie Wohngeld"

■ 18 Jahre lang leitete Dietger Pforte das Berliner Literaturreferat. Nun geht er. Die taz sprach mit ihm über Institutionen, Politiker, Autoren und Autorenförderung

taz: Ende der siebziger Jahre kamen Sie als Literatursoziologe in Berlins erste eigenständige Kulturverwaltung der Nachkriegszeit. 18 Jahre lang behielten Sie die Staatsaufsicht über alle öffentlichen Gelder, die Literatur betreffend. Gleichzeitig waren Sie wie kaum ein anderer auf der literarischen Bühne Berlins tonangebend. Wie ließ sich das vereinbaren?

Dietger Pforte: Meine Aufgabe war es, auf das Finanzgebaren der literarischen Institutionen zu achten und dabei die Autonomie in fachlichen Fragen zu beachten. Ein Machtproblem hatte ich in inhaltlichen Konfliktfällen nie. Die Öffentlichkeitsarbeit der Häuser war nie Gegenstand eines Streits und auch nicht deren Selbstdarstellung.

Ein Beispiel: die Gründung der LiteraturWERKstatt am Majakowskiring. Ich finde es schön, wie heute in Selbstdarstellungen beschrieben wird, wie die aufgebrachte Literaturszene das Haus damals erobert hatte. Nur war das in meiner Erinnerung etwas anders. Herr Köppe als Mitarbeiter der Kulturstadträtin in Ost-Berlin und ich als Literaturrefernt des Westberliner Senats hatten mit dem Segen unserer beider Oberen die Literaturszene eingeladen, um gemeinsam zu beraten, was man mit diesem alten Ort angepaßter Ost-Autoren macht.

Das ist was anderes als „besetzen und erobern“. Aber Mythenbildung gehört zum Geschäft und ist zu ertragen. Und wenn Autoren und Autorinnen sich so erinnern, daß sie ganz aufgebracht dieses geschlossene Haus erobert und zu einem öffentlichen Literaturhaus gemacht haben, dann ist das ja auch nicht ganz falsch: Im Anschluß haben sie es ja in der Tat gemacht. Und daß die Bürokratien die Weichen gestellt haben, ist zweitrangig. Entscheidend ist, daß ein Institut entsteht.

Als Sie Ihre Arbeit aufnahmen, gab es in West-Berlin ein einziges Literaturhaus, das Literarische Colloquium. Heute gibt es in Gesamtberlin drei weitere Literaturhäuser, das Literaturforum und die LiteraturWERKstatt in Pankow und das Literaturhaus in der Fasanenstraße. Ist das ein Erfolg Ihrer Arbeit?

Es gibt ja noch mehr. Es gibt das Kinderliteraturhaus LesArt, die Literaturabteilungen im Haus der Kulturen der Welt und in der Akademie der Künste. Im Moment hat man fast Angst, alle zu erwähnen, weil dann die Rotstift-Politiker sofort denken, da können wir ja noch mehr streichen. Es gibt ja auch Überlegungen, die Häuser einfach zusammenzulegen. Das ähnelt der Vorstellung, man könne die Leitung aller politischen Parteien zusammenlegen, weil sie ja alle das gleiche machen: nämlich Politik. Die literarischen Institutionen in unserer Stadt sind (literar)ästhetisch nicht miteinander vereinbar. Wir brauchen jedes einzelne dieser Häuser. Eine Institution, die ich schließe, krieg' ich nicht wieder.

Wäre das wirklich so schlimm? Mit Ihren Literaturhäusern haben Sie zweifellos lauter unverwechselbare Duftmarken in die Stadt gesetzt. Als Besucher dort erleben wir trotzdem häufig nur lauter kleine funktionierende Apparate. Institutionalisierung: das ist auch Vergrößerung von Literaturbetrieb, das Verschwinden jenes literarischen Lebens, das Sie selber immer wieder beschwören.

Natürlich gibt es auch überall diese kleinen Apparate. Selbst die vielen kleinen Initiativen und Vereine funktionieren so. Viele werden nur zu Selbstdarstellungszwecken genutzt, wenn die Inhalte manchmal weniger wichtig sind als das „Ich bin der Vorsitzende“. Aber man muß auch das Wechselverhältnis von Institution und Autorenförderung sehen. Kaum hatten wir 1986 das Literaturhaus aus der Taufe gehoben, sagte man im Abgeordnetenhaus, wo sonst immer nur die Künstlerförderung aller Sparten in toto beschlossen wird: „Was, eine neue Institution?! Was tun wir denn für die Schriftsteller selber?“

Und in diesem Windschatten konnte man den Stipendienetat sprunghaft anheben. 1977 waren Stipendiengelder in Höhe von 70.000 Mark zu vergeben, 1989 waren wir bei rund einer Million, nach der Vereinigung bei 1,2 Millionen Mark. Auf Grund der Haushaltskürzungen sind wir jetzt bei 775.000 Mark. Das sind immer noch hohe Wachstumsraten.

Fördern Sie auch freie Einrichtungen? Neuerdings gibt es ja auch in Technoklubs Lesungen.

Im letzten Jahr haben wir 130.000 Mark Lesungshonorare an Buchhandlungen, freie Initiativen, auch mal an Kneipen verteilt. Wir werden da allerdings am ehesten Abstriche machen müssen, weil der Bereich strukturell selbst dann erhalten bliebe, wenn wir erst einmal auf Null landen würden.

An solchen Orten gibt es ja ein eher literaturbetriebsuntypisches Publikum.

Das kommt drauf an. Wir könnten jetzt natürlich auch ein ganz bösartiges Gespräch führen: Ist Ihnen als Mitarbeitern der taz nicht aufgefallen, daß es mindestens 50 Autoren in Berlin gibt, die mit ihrem kleinen Freundeskreis einmal im Jahr durch alle Bezirke wandern? Und jedesmal mit ihren 13 Freunden ihre kleine Lesung machen, und als 14. ist immer nur der Buchhändler neu. Dafür dieser Aufwand? Dürfen wir denn das? Und wir könnten sagen: Glauben Sie denn nicht auch, daß diese arrogante Art, mit der Herr X. sein Institut leitet, eher für Schwellenangst als für Öffentlichkeit sorgt?

Darüber hatten wir vorhin so geredet.

Und: Wird denn durch Autorenförderung nicht immer nur das Mittelmaß gefördert? Und hat sich Qualität denn nicht immer schon behauptet? Und sei es, daß Musil über seinem „Mann ohne Eigenschaften“ damals fast verhungert wäre. Aber er hat sich zuletzt doch behauptet. Wir hätten auch so reden können.

Und wird ein Autor nicht vom Leben entfremdet, weil er nicht mehr arbeitet und dann auch nicht mehr schreiben kann?

...bekommt er nicht eine Schreibblockade, weil er mal gefördert worden war, und ist dann ein für allemal geschädigt?

Und die Antwort?

Die Antwort ist dies: Bei 1.200 kunstschreibenden Autoren in Berlin dürfen auch fünfzig sich so managen, wie ich es eben beschrieben habe. Wer mit seinen 13 Freunden so rundreisen kann, dem gönne ich das, weil es der Beweis ist, daß wir alle nicht ganz so vereinzelt leben. Und sie schaden auch nicht, und sie werden auch nicht reich dabei. Sicher gibt es Autoren, die uns „betrügen“. Die sich ärmer machen. Die sich auch mal reicher machen.

Zum Beispiel hatten wir einmal einen Autor, von dem ich wußte, daß er in einem Jahr null Einnahmen hatte, weil er krank war. Der hatte auf seinen Stipendienantrag geschrieben: 5.000 Mark Einnahmen. Den rief ich an und sagte: Das freut mich, das habe ich gar nicht mitbekommen, was war denn das? Sagte er: Das stimmt doch gar nicht – aber ich wollte doch der Jury nicht sagen, daß ich überhaupt nicht mehr auf dem Markt bin.

Wie ist das eigentlich mit den Berührungsängsten von Autoren gegenüber dem Staat? Sind die nur ein Mythos?

Also, es gibt Autoren, die sagen: Nie habe ich, und nie werde ich...! Die haben wir fleißig gefördert – wir widersprechen ihrer Selbstdarstellung trotzdem nicht. Dann kenne ich einige Künstler, die kein Geld annehmen wollten, weil sie das als Almosen mißverstehen. Mit der Zeit habe ich jedenfalls gelernt, daß man sein Förderinstrumentarium so differenzieren muß, daß jeder sich mit seinen eigenen Interessen wiederfindet. Daher diese vielen verschiedenen Stipendienprogramme.

Die Berührungsangst zwischen Autoren und Staat ist eines der beliebtesten Themen nach Lesungen, wenn man zuviel Wein getrunken hat, aber sie ist kein reales Problem. Und im übrigen hat gerade die jüngere Generation gelernt, ihre Rechte einzufordern. Sie wissen, das ist wie Wohngeld. Der Staat hat hier eine Bringeschuld gegenüber seinen Künstlern. Interview: Fritz v. Klinggräff,

Detlef Kuhlbrodt