Aufmarsch in der Stadt der Verweigerer

■ Nach dem Scheitern der Vereidigung auf öffentlichem Boden im letzten Jahr versucht es die Bundeswehr nun erneut

Ja, vereidigen. Erstmals seit dem Ende des zweiten Weltkrieges soll es in diesem Jahr in Berlin wieder eine öffentliche Rekrutenvereidigung geben. Das hat die Bundeswehr jetzt bestätigt. „Es wird darüber nachgedacht“, erklärte der Presseoffizier der Berliner Bundeswehr, Döbrich. Informationen der Bild-Zeitung, denen zufolge das Rekrutenspektakel am 31. Mai stattfinden sollte, wollte Döbrich allerdings nicht bestätigen. Der genaue Ort und der Termin würden zwischen Verteidigungsminister Volker Rühe, der Bundeswehr und dem Senat abgesprochen, sagte er. Er gehe aber davon aus, daß es ein öffentliches Gelöbnis in Berlin geben werde, sagte der Presseoffizier.

Mit der geplanten Vereidigung – der zweiten im Osten seit der Vereidigung letztes Jahr in Erfurt – versuchen die Streitkräfte in Berlin jetzt zum zweiten Mal, öffentliches Terrain für ein Rekrutengelöbnis zu erobern. Beim ersten Mal war ihnen der Erfolg freilich nicht vergönnt. Kurz nachdem die Bundeswehr im vergangenen Januar bekanntgegeben hatte, die Berliner Rekruten am Brandenburger Tor zu vereidigen, zog Verteidigungsminister Volker Rühe die Fahne wieder ein. Zahlreiche Proteste und die erwarteten Aktionen von Antimilitaristen im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus hatten dazu geführt, daß sich die Bundeswehr zu der Zeremonie in die Julius-Leber-Kaserne zurückzog.

Unterdessen hat die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär bereits die Mobilisierung gegen die geplante Vereidigung aufgenommen: „Kommt alle zahlreich nach Berlin und zeigt Euer Mißfallen an diesem Militärspektakel“, heißt es in einem bundesweit verteilten Aufruf. Für Kampagnensprecher Andreas Schroth steht die geplante Vereidigung auch im Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Kriegsdienstverweigerern. „Berlin ist die Hauptstadt der Verweigerer“, sagt er. Erst im vergangenen Jahr hatte das Bonner Verteidigungsministerium die Tauglichkeitsstufe T7 eingeführt, um die Sollstärke der Streitkräfte an Wehrdienstleistenden überhaupt halten zu können. Die geplante Vereidigung ist für den Antimilitaristen aber auch ein Versuch, „die Präsenz der Bundeswehr in Berlin zur Normalität zu machen“.

Zu dieser „Normalität“ und dem Ringen um die Wehrpflichtigen der Hauptstadt gehören mittlerweile nicht mehr nur höhere Strafen gegen Totalverweigerer oder Anzeigen wegen des Tucholsky-Zitats, sondern auch mehrere Großereignisse der Bundeswehr in diesem Jahr. So soll neben der Nato-Tagung im Juli im Herbst eine bundesweite Feldjäger-Tagung stattfinden. Kampagnensprecher Schroth dazu: „Das ist bisher der deutlichste Wink mit dem Zaunpfahl.“

Noch vor der geplanten Vereidigung wird die Kampagne gegen Wehrpflicht bereits am kommenden Montag wieder gegen die turnusmäßige Einberufung von Berliner Rekruten demonstrieren. Uwe Rada