: Lese wild und gefährlich
Abenteuer sind unsterblich, Abenteurer auch. Sie wechseln nur von Zeit zu Zeit die Kleider. An jeder Ecke stehen sie und warten darauf, entdeckt zu werden: Wenn man sie nicht selbst erlebt, findet man sie in Büchern ■ Von Gabi Trinkaus
Historische Abenteuerromane haben den Vorzug, Nützliches mit dem Schönen zu verbinden. Nicht immer gelingt das. Ein Meister in diesem Fach war Lion Feuchtwanger. Sein „Goya“ ist wie die Reise in eine andere Dimension. Spanien vor 200 Jahren. Ähnliches für Kinder versucht Joan Aiken mit ihrer Trilogie „Geh, zügle den Sturm“, „Geh, sattle das Meer“ und „Geh, zähme den Berg“.
Über Madrid schreiben...
Napoleon hat ganz Europa kräftig durchgeschüttelt. In Spanien ringen nach seinem Tod verschiedene Gruppen um die Macht. In diese Zeit hinein wird der kleine Felix Brooke geboren. Schon äußerlich ein Kind der Zeit. Er hat blonde Haare, da sein Vater ein englischer Soldat ist. Seine spanische Mutter stirbt bei der Geburt. Sein Vater gilt als verschollen. Er wächst bei seinen adeligen spanischen Großeltern auf, die ihn nicht akzeptieren. Er ist der letzte direkte männliche Sproß der Familie und Erbe des gesamten Vermögens. Die Intrigen der neidischen Verwandten gefährden sein Leben. So rät ihm die Köchin, die für ihn wie eine Mutter war, das Haus zu verlassen und seinen englischen Großvater aufzusuchen. Sie übergibt ihm sterbend ein Bündel alter Briefe seines Vaters. Sie enthalten den vagen Hinweis, wo in England der Großvater leben könnte. Nur zwölf Jahre alt, macht sich Felix heimlich und alleine auf die Reise von Spanien nach England.
Das ist ein Weg, auf dem man auch heute noch Abenteuer erleben könnte. Felix wird Zeuge, wie die Menschen von Nachkriegswirren entwurzelt, von religiösem Wahn verwirrt oder der Jagd nach dem Geld beherrscht werden. Sein stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl hilft ihm, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Trotzdem kommt er nur mit viel Glück und Gottvertrauen in England an. Doch das Land seines Vaters kann ihn nicht begeistern, weder der Luxus noch die Schule, in die man ihn steckt. Sein Großvater ist alt und verrückt. Als Felix erfährt, daß sein spanischer Großvater endlich die Intrigen durchschaut hat, beschließt er, nach Spanien zurückzukehren.
„Geh, sattle das Meer“ sagt das spanische Sprichwort. Doch es ist eher Felix, der gesattelt wird. Schiffbrüchig strandet er in Frankreich. Mönche lesen ihn auf. Monate lebt er ohne Bewußtsein im Kloster. In den Dünen findet er einen an Zweigen festgebundenen Jungen. Auch er ist Erbe eines stattlichen Vermögens. Seine Verwandten haben ihn von einer Verbrecherbande, den mala gente, entführen lassen. Er soll zum Stehlen abgerichtet oder getötet werden.
...bedeutet über Madrid weinen
Felix und Juan müssen vor dem dämonischen Abt des Klosters und den mala gente fliehen. Auf verschlungenen Pfaden und immer verfolgt suchen sie den Weg über die Pyrenäen nach Frankreich. Zwischen den beiden sehr gegensätzlichen Kindern entwickelt sich eine schöne Freundschaft, bei der Felix der dominierende ist. Es schmerzt ihn sehr, daß Juan ihn kurz vor dem Ziel verabschiedet, als wäre nichts gewesen. Erst später, als er schon bei seinem spanischen Großvater angekommen ist, erklärt ihm ein Brief Juans verletzendes Verhalten. Seine Worte „So wie jetzt wird es niemals wieder zwischen uns sein“, erfaßt er nun in ihrer vollen Bedeutung. Mit diesem Buch verlassen wir das Kind Felix.
Das dritte Buch „Geh, zähme den Berg“ erzählt vom erwachsenen Felix, der von Juan gerufen wird, um entführte Kinder zu befreien. Sie geraten in einen wilden Strudel von politisch Enttäuschten, geschickten Intriganten und Banditen, die daraus Nutzen ziehen wollen. Sie kommen nur knapp mit dem Leben davon. Jetzt ist es Zeit für den glücklichen Schluß einer abenteuerlichen Kindheit. Das Sprichwort hat sich erfüllt: Geh, sattle das Meer und zügle den Sturm, ehe du dir deinen Platz in der Welt suchst. Eine schöne wilde Geschichte – wie geschaffen für Väter, die vorlesen und Kinder, die zuhören wollen.
Jagd auf Sklavenhändler
„Die Sentinel“ ist ein Buch der guten alten Sorte. Seine Sätze sind lang und verschachtelt. Beim Vorlesen verhaspelt man sich, bis man den Rhythmus spürt. Es ist vielschichtig. Mühelos zieht es Kleine und Große in seinen Bann. Peter Carter erzählt von alten abenteuerlichen Zeiten. Amerika braucht Arbeitskräfte und bedient sich in Afrika. Die Engländer versuchen, den Sklavenhandel zu verhindern. Die Schiffe der Royal Navy kreuzen vor der afrikanischen Küste und jagen Sklavenhändler. Für befreite Sklaven gibt es Kopfgeld, für einen toten Sklaven nur die Hälfte. Ein himmelschreiendes Unrecht, findet der Kanonier, denn jede Breitseite, die er auf ein Schiff feuert, kostet Sklaven das Leben und damit die Matrosen ihren Sold. Ums Geld kämpfen Sklavenhändler wie ihre Jäger.
Nichts von alledem ahnt John Spencer. Mit 15 Jahren Vollwaise, hilft es ihm nichts, daß seine Mutter aus ihm einen Pfarrer machen wollte. Er kann glücklich sein, bei der Marine Unterschlupf zu finden. Seine ersten Eindrücke auf dem Meer sind von Seekrankheit getrübt. Es ist sein Kapitän, der darauf achtet, daß man ihn nicht wie einen nassen Sack in der Ecke liegen läßt. Er hat Angst vor dem ersten Offizier Brooke, der keine Gelegenheit ausläßt, ihm seine seemännische Ungeschicklichkeit zu beweisen.
Zu dieser Zeit ist in Afrika für Lyapo vom Stamme Oyo das Schlimmste passiert, was passieren konnte. Ein Sklavenhändler hat ihn gefangen, treibt ihn mit anderen flußaufwärts, bis er schließlich vom Bauch des amerikanischen Sklavenschiffes „Phantom“ verschluckt wird. Lyapo und John steuern auf eine gemeinsame Geschichte zu, die an Robinson und Freitag erinnert. Nach diversen Schlachten landen sie als Schiffbrüchige an einem Strand. Hier ist Lyapo der Überlegene. Über Spiele und Sprache werden aus dem Sklaven und dem Offiziersanwärter Freunde. Auch als die Navy sie endlich rettet, hält das Band. Das Waisenkind John kehrt als junger Mann nach Hause zurück. Für Lyapo gibt es keine Heimkehr. Er muß ein neues Leben anfangen. Das ist das Schicksal jedes befreiten Sklaven.
Die Reformation auf dem Scheiterhaufen
Tilmann Röhrig ist Spezialist für historische Romane. Sein Antikriegsbuch „In dreihundert Jahren vielleicht“ wurde mehrfach ausgezeichnet. Es spielt während des Dreißigjährigen Krieges in einem kleinen Dorf, das immer wieder von Soldaten verschiedener Nationalitäten überfallen wird. Sehr einfühlsam schildert er Leben und Sterben einer dem Krieg ausgelieferten Dorfgemeinschaft, die nichts anderes will, als in Frieden leben.
Mit seinem Buch „Übergebt sie den Flammen“ wagt er sich an die Zeit der religiösen Irrungen und Wirrungen zwischen Köln und Münster. Martin Luther ist in aller Munde. Die katholische Kirche kämpft um ihre Machterhaltung. Die Inquisition beseitigt die Kritiker, sie und ihre Bücher werden verbrannt. Sehr schön zeigt Tilmann Röhrig die Atmosphäre der Verunsicherung in der Bevölkerung. Die Menschen haben Angst. Keiner weiß so recht, wie sich gut und böse definiert. Nur Mutige wagen es in diesen Zeiten, eine eigene Meinung zu haben und trauen sich, diese zu verbreiten.
Adolph Clarenbach ist so einer. Er gehört zu den Reformern. Johann Klopreis ist ein lammfrommer Theologiestudent und lernt Adolph wider Willen kennen. Doch bald gehört er zu seinen Anhängern. Ein Mädchen namens Wendel verliebt sich in den Pfarrer Johann und dank Luther ist es kein Problem mehr. Doch Luther ist noch lange nicht in Köln. So ist Wendel die Pfarrerhure. Ihre Töchter bleiben ungetauft, die Inquisition bedroht sie und kerkert Johann schließlich ein. Es kostet ihn beinahe das Leben. Doch zuerst stirbt sein Lehrer auf dem Scheiterhaufen. Für Wendel ein großer Verlust. Sie weiß, ihr Johann ist leicht zu begeistern. Er ist ein schwacher Mensch, der leicht den Boden unter den Füßen verliert. Leichtfertig läßt er sich von den Widertäufern überzeugen. Wendel folgt ihm mit ihren drei Töchtern nach Münster und stellt mit Abscheu fest, daß ihn die neue Macht korrumpiert hat. Doch bevor ihre älteste Tochter den neuen Götzen geopfert wird, kann Wendel mit den Kindern fliehen. Für Johann endet die Niederschlagung des Widertäuferreiches von Münster mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen.
Ein spannendes Buch – im Sinne von erlebter Geschichte. Doch lebendige Geschichte wie in dem Roman „In dreihundert Jahren vielleicht“ ist es nicht.
Joan Aiken: „Geh, zügle den Sturm“, „Geh, sattle das Meer“, „Geh, zähme den Berg“. Oettinger, ab 12 Jahre, je 19,80 DM.
Peter Carter: „Die Sentinel. Sklavenschmugglern auf der Spur“. Verlag Freies Geistesleben, ab 9 Jahre, 19,80 DM
Tilmann Röhrig: „Übergebt sie den Flammen“. Arena Taschenbuch, Band 2560, ab 12 Jahre,
9,90 DM.
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