Reformgipfel im Zeichen des Rinderwahns

■ Die bitische Regierung fordert finanzielle Solidarität von der Europäischen Union (EU). Die Regierungschefs reden von Vertuschung und nicken nur widerwillig

Turin (taz) – Die Eröffnung der gestrigen EU-Regierungskonferenz stand ganz im Zeichen des Rindes. Der britische Premierminister John Major bat denn auch artig um die Solidarität der EU mit seinem Land.

In den Regierungsdelegationen wurde über das Ausmaß der nötigen Solidarität spekuliert. Wenn die Hälfte aller britischen Rinder vernichtet wird, errechnete beispielsweise das deutsche Auswärtige Amt, dann seien dafür elf Milliarden Mark für die Verbrennung der Tierkadaver und die Entschädigung der Bauern fällig. Mindestens 50 Prozent davon muß die Regierung in London selbst aufbringen, der Rest könnte aus der EU-Kasse bezahlt werden. Deutschland, stets mit 30 Prozent an den EU-Ausgaben beteiligt, müßte dann zwei Milliarden Mark für die Aufarbeitung des Rinderwahnsinns zahlen.

Obwohl die meisten Staats- und Regierungschefs gar nicht gut auf die britische Regierung zu sprechen sind, der sie hinter vorgehaltener Hand Vertuschung der Gefahren und eine seltsame Informationspolitik vorwerfen, erklärten sie sich gestern grundsätzlich zur Solidarität bereit. Zuerst aber müsse London einen klaren Plan vorlegen, wie die Rinderseuche nun endgültig ausgerottet werden soll. Die EU-Kommission in Brüssel soll schon einmal über mögliche Maßnahmen nachdenken und die Kosten ausrechnen. Aus der österreichischen Delegation hieß es, daß auch der Boykott von Schweizer Rindern und Rinderprodukten aufrecht erhalten bleiben soll.

Selten hatte man den britischen Premier John Major bei einem EU-Gipfel so vorsichtig und zurückhaltend auftreten sehen wie in Turin. Trotzdem tönte er, daß sich seine Regierung die finanzielle Solidarität keinesfalls durch Zugeständnisse bei der geplanten Reform der EU erkaufen werden. Bei einigen der anderen Regierungschefs war dagegen durchaus die Hoffnung zu spüren, daß Major in seiner neuen Bittstellerrolle gezwungen sein könnte, seine reformfeindlichen Positionen etwas nachgiebiger zu vertreten.

Die Konferenz, die sich mit regelmäßigen Treffen auf Minister- und Staatssekretärsebene etwa 16 Monate hinziehen wird, soll das Europaparlament aufwerten und die EU-Institutionen straffen sowie die Abstimmungsregeln vereinfachen, damit die Gemeinschaft auch nach der geplanten Osterweiterung handlungsfähig bleibt. Vor allem Großbritannien hat Widerstand angemeldet, weil die britische Souveränität ausgehöhlt werde. Überraschenderweise wurde der gemeinsame Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zum wichtigsten Thema der EU erklärt. Doch die Vorstellungen über die Strategie gehen weit auseinander. Die skandinavischen Länder, Frankreich und Österreich fordern, den Ausbau der transeuropäischen Verkehrsnetze mit mehr öffentlichen Geldern auszustatten. Sie sehen darin die Chance eines EU-weiten Beschäftigungsprogramms. Die Bundesregierung setzt dagegen weiter auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Alois Berger