Stern zum Zugreifen nah

■ Marc Almond bot Pathos zum Anfassen

Marc Almonds neues Album heißt programmatisch „Fantastic Star“. Daß er ein solcher ist, konnte bei seinem Bremen-Auftritt am Samstag nicht geleugnet werden. Zwar war es ihm nicht gelungen, das „Modernes“ bis zum Bersten zu füllen, aber zum gebührenden Feiern langte das erschienene Publikum allemal.

Der Ex-„Soft Cell“-Dandy hatte die Bühne noch gar nicht betreten, da waren die Fans schon ganz aus dem Häuschen. Irgendwo hinter den Kulissen war schon das „Ahahaha“ aus Almonds unverwechselbaren Organ zu hören. Als er dann in schwarzer Ledertracht und seit den frühen 80ern unveränderter Kurzhaarfrisur ins Rampenlicht schlackste, gab es gar kein Halten mehr. Alle Arme waren oben, einträchtig wurde aus gemischtgeschlechtlichen Kehlen gekreischt. Dabei sieht dieser Mann, nüchtern betrachtet, wie alles andere als ein fantastischer Star aus: reichlich schmächtig, knabenhafte Gesichtszüge und ein leichter Anflug von Segelohren. Almond wußte jedoch, welche Posen in welchem Licht am besten wirken, und seine Stimme ist eh stets über jeden Zweifel erhaben.

Diese Stimme und ihr divenhafter Tonfall waren immer am erfolgreichsten, wenn sie Coverversionen wie „Tainted Love“ interpretierte, dabei können sich des Künstlers Eigenkompositionen, was Ohrwurm- und Pathos-Qualitäten angeht, an den klassischen Vorbildern durchaus messen. Almond wurde lediglich von einer Gitarre, Schlagzeug und Keyboards begleitet, und die höchsten der Gefühle vermittelte er, wenn er sogar diese Besetzung aufs notwendigste reduzierte. Gleich drei oder vier Songs hintereinander spielte er unplugged, darunter auch „Say Hello, Wave Goodbye“, was bei „Soft Cell“ ursprünglich im Synthie-Pop-Gewand daherkam, aber nur von Akustikgitarre begleitet, weitaus beeindruckender und schwungvoller daherkam. An dieser Gitarre stand kein geringerer als Neal X, Ex-Mitglied der köstlichen Cyber-Poseure „Sigue Sigue Sputnik“ und Rocker im Herzen, was er ausgiebig zur Schau stellte.

Zu einem echten Star gehören natürlich auch Entertainerqualitäten, die Marc Almond im Schlaf beherrscht. Er hatte selbstverständlich einen Barhocker auf der Bühne, auf den er sich setzte, wenn es an der Zeit war, eine kleine Anekdote zu erzählen oder einfach mal etwas Balladiges zu schluchzen. So einer bringt das Publikum natürlich zur Raserei, wenn er mal kurz neckisch die Lederjacke von der Schulter (wo dann immernoch ein T-Shirt die nackte Haut verhüllt) gleiten läßt. Selbstredend standen zum Schluß etliche, die in den 80ern Teenies gewesen sein mögen, vor der Backstage-Tür und tauschten Anekdoten aus, wie sie ihrem Star auf jeder Tournee schmachtend nachgereist waren. An diesem Abend warteten sie darauf, daß der Roadie mit den ihm zum Signieren anvertrauten Souvenirs wieder herauskommen möge. Andreas Neuenkirchen