Die "fünfte" Gewalt

■ NGOs oder: Wie (gut) funktioniert der "Medienverbund der guten Gesinnung"? Über die 15. Tutzinger Medientage

Wer heute politisch etwas bewirken will, muß mit seinem Anliegen in die Medien gelangen. Eine Binsenweisheit, die beinahe schon antiquiert wirkt. Zuschauer, Radiohörer und Leser gehen davon aus, daß Journalisten in der deutschen pluralistischen Medienlandschaft so objektiv wie möglich über ein Thema berichten. Genau so sollte es auch bei den NGOs, den regierungsunabhängigen Organisationen, sein. In die Schlagzeilen geraten sind diese Gruppen durch die spektakulären Aktionen der Umweltschützer von Greenpeace im letzten Jahr – die Bilder von der Ölplattform Brent Spar sind uns noch gut im Gedächtnis. Doch was geschieht, wenn die kritische Distanz zwischen Medien und denjenigen verschwindet, über die berichtet wird?

Auf den 15. Tutzinger Medientagen sollte Licht gebracht werden in den „Medienverbund der guten Gesinnung“. Sowohl von der politikwissenschaftlichen als auch von der journalistischen Seite wollten die Veranstalter versuchen, das Geflecht aus NGOs, Bürgerprotest, Politik und Medien zu entwirren. Schwierig gestaltet sich in solches Vorhaben, wenn nicht deutlich wird, worüber eigentlich geredet wird. So konnte der streitbare Politologe und bekennende Sozialdemokrat Kurt Sontheimer kurz und bündig feststellen, daß durch NGOs die Politik nicht neu erfunden wurde. Sie hätten allenfalls neue Themen in die etablierte Politik eingebracht. Eine solche Wahrnehmung genügt aber nicht, um das Phänomen angemessen zu bewerten. Schließlich firmieren bei der UNO unter dem neuen hübschen Kürzel neben bekannten Aktivisten wie Greenpeace, amnesty international oder auch Ärzte ohne Grenzen auch Gruppierungen wie die Internationale Vereinigung der Bienenzüchter.

Dem „ungeschützten Gütesiegel“ NGO näherte sich Christian Wernicke von der Zeit systematisch. Für ihn greift die Definition der UNO zu kurz: Danach ist eine NGO jede Organisation, die nicht durch zwischenstaatliche Übereinkunft – wie etwa die deutsch-russische Handelskammer – zustande gekommen ist. Für Wernicke müssen jedoch zwei weitere Kriterien erfüllt sein: NGOs dürfen weder marktorientiert sein (beispielsweise der Internationale Verband der Automobilhersteller), noch staatliche Hoheitsgewalt ausüben. Merkmal „echter“ NGOs ist, daß sie in Anspruch nehmen, sich und ihr Handeln ausschließlich am Gemeinwohl zu orientieren. Wer ist bei Slogans wie „Rettet unsere Meere“ nicht überzeugt, daß hier die Guten (Greenpeace) gegen die Bösen (Ölmultis) kämpfen?

Job der Journalisten bleibt es, sauber zu recherchieren, auch wenn die „gute Gesinnung“ der Aktivisten geteilt wird. Das fällt der Zunft oft schwer. Gerade das Fernsehen ist auf spektakuläre Bilder angewiesen, und ein effektvolles Foto kann eine Story ungemein „würzen“. „Video ergo sum – ich schaue, also bin ich“, bringt Michael Hanfeld (FAZ) die Aneignung von Information im Medienzeitalter auf den Punkt. Das wissen auch die Aktivisten von Greenpeace und liefern das entsprechende Material frei Haus. Hanfeld kritisiert die „Manipulation der Massenpsychologie“ durch die Organisation und behauptet, daß Greenpeace durch den „moralischen Vorteil“ gegenüber Politik und Wirtschaft für sich in Anspruch nehme, im Auftrag des Gemeinwohls zu handeln. Und wenn der Vereinigung dann ein Fehler unterlaufe, wie bei den Angaben über die Giftmenge an Bord der Brent Spar, versuche man, mit dem Eingeständnis möglichst wenig Aufsehen zu erregen. „Zeigen Sie mir einen Politiker, der öffentlich Fehler eingesteht“, entgegnete Birgit Radow von Greenpeace.

Die Medien übernehmen aber auch eine Schutzfunktion: „Durch den Druck der Medien konnte amnesty international in rund zwei Drittel der bekannt gewordenen Fälle politisch Inhaftierte vor dem Tod retten oder zumindest die Haftbedingungen mildern“, beschreibt Volkmar Deile von der Hilfsorganisation die Bedeutung der Aufmerksamkeit in Funk und Presse. Auch die Weltfrauenkonferenz in Peking wäre ohne die weltweite Berichterstattung erfolgloser verlaufen.

Ohne Zweifel: In dieser Funktion ist der Verbund der guten Gesinnung notwendig und wichtig. Das entläßt die Journalisten nicht aus ihrer Pflicht, kritisch zu recherchieren und Distanz zu wahren. Auch muß gefragt werden, wie die „vierte“ und „fünfte“ Gewalt, als die Medien und NGOs eingeordnet werden, demokratisch kontrolliert werden. Während CDU-Bundestagsfraktionsvize Heiner Geißler zu bedenken gibt, daß den NGO-Vertretern – im Gegensatz zu Parlamentariern – die Macht nicht auf Zeit verliehen wurde, fordert Christa Sager, Fraktionssprecherin Bündnis 90/Die Grünen: „Wir brauchen eine demokratische Öffnung der Medien, weil sie heute Meinung machen.“ Andreas Szelenyi