■ Nebensachen aus Paris
: Fundstücke im Wald von Ermenonville

Das sei eine „deutsche Obsession“ begründen meine Pariser Freunde, wenn sie wieder einmal nicht mit mir spazierengehen wollen. Breitschlagen lassen sie sich allenfalls zu einer Promenade auf den Boulevards, zum Schaufensterbummel im Marais oder zum direkten Weg ins Café. In den Wald muß ich ohne sie.

Wegen dieses chronischen Defizits hatte ich meine Freundin aus Berlin gleich vom Flughafen weg in den Wald von Ermenonville gelockt. Die Sonne schien, es war Frühling, die Vögel zwitscherten, und wir tauschten unsere ersten Neuigkeiten auf dem weichen Sandboden unter den Eichenbäumen aus, wo sich schon Jean-Jacques Rousseau philosophische Inspirationen holte. Als wir ein paar Stunden später zum Auto zurückkehrten, waren unsere Handtaschen weg.

Meine Freundin war erholungsbedürftig. Während ich arbeitete, wollte sie lesen und Tagebuch schreiben. Nun standen wir 50 Kilometer nördlich von Paris ohne Geld, ohne Kreditkarten, ohne Notizbücher und ohne Ausweispapiere im Wochenendschlußverkehr im Stau. Die Diebe machten sich vielleicht gerade daran, meine Wohnung im zweiten Stock eines anonymen Pariser Blocks auszuräumen.

Als wir ankamen, war es Nacht. Die Idee, uns an der Hausfassade abzuseilen, um in das offene Fenster einzusteigen, verwarfen wir aus Sicherheitsgründen. Als die Unbekannten aus dem dritten Stock uns in ihr Wohnzimmer einluden, nahmen wir dankbar an. Bei Aperitiv, Salzgebäck und Geschichten aus ihrer Kindheit warteten wir auf den Schlüsseldienst. Kaum hatte der Profi die Wohnungstür geräuschvoll aufgebrochen, klingelte die Nachbarin aus dem Vierten, mit der ich nie zuvor gesprochen hatte, und bot ihre Hilfe an. Kurz nach Mitternacht kam der junge Mann aus dem Ersten, und fragte, ob ich Geld bräuchte. Wir kannten uns vom morgendlichen Zunicken am Briefkasten.

In der Wohnung fanden sich alle Dinge an ihrem Platz. Auch der Anrufbeantworter mit der Nachricht einer aufgeregten Radfahrererin, die mein Notizbuch im Wald gefunden hatte. Die verstreuten taz-Visitenkarten hatten sie aufmerksam gemacht. Zwei Tage später meldete sich die Polizei. Ein zweiter Radler hatte meine Handtasche mit sämtlichen Papieren, dem Taschenradio und meinen Hausschlüsseln abgegeben. Nur ein Handschuh und das Bargeld fehlten.

Meine Freundin ist leerausgegangen. Während ihres Erholungsaufenthaltes in Paris war sie beim deutschen Konsulat, wo sie sich den Mund fusselig reden mußte, bis die Beamten kapiert hatten, daß sie das vorläufige Ausweispapier nicht bezahlen konnte. Auch bei der „Air France“ verhalfen ihr nur Hartnäckigkeit und Charme zu einem kostenlosen Ersatz für das gestohlene Rückflugticket. Jetzt ist sie wieder in Berlin und hofft, daß doch noch jemand ihre Papiere findet und nach Deutschland schickt.

Ich werde meiner „deutschen Obsession“ demnächst wieder frönen. In französischer Begleitung: Der Hobbyradler aus dem Wald von Ermenonville hat mir vorgeschlagen, einen gemeinsamen Ausflug durch den sandigen Straßengraben zu machen, wo meine Sachen gelegen haben. Er hat großes Finderglück, sagt er, „besonders montags“. Sechsmal konnte er bereits gestohlene Handtaschen auf seinem Gepäckträger zur Polizei bringen. Freunde von ihm sollen beim Training sogar schon Aktenkoffer und eine Pistole gefunden haben. Dorothea Hahn