Systematischer Völkermord ist schwer zu beweisen

■ Die deutsche Bundesanwaltschaft ist bemüht, Kriegsverbrecher aus dem früheren Jugoslawien wegen Völkermord-Handlungen vor Gericht zu bringen

Dem 6. Mai sieht Oberstaatsanwalt Rainer Griesbaum beim Bundesgerichtshof mit Genugtuung entgegen. An diesem Tag soll erstmals vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag einem Kriegsverbrecher aus Exjugoslawien der Prozeß gemacht werden. Angeklagt ist der Serbe Dusan Tadić, der im Februar 1994 nach monatelangen Recherchen von Journalisten und Staatsanwälten in München festgenommen wurde.

Der 30jährige Tadić, Mitglied der „Serbischen Partei“ des bosnischen Serbenführers Radovan Karadžić, wird beschuldigt, an „ethnischen Säuberungen“ beteiligt gewesen zu sein. Das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag will ihn nun wegen „schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht“ zur Rechenschaft ziehen. ZeugInnen werfen Tadić schlimmste Quälereien vor, vor allem im Todeslager Omarska in der norwestbosnischen Region Priedor. Dort waren im Sommer 1992 mindestens 3.000 Kroaten und Muslime eingesperrt. Nach Erkenntnissen der UNO wurden in den zwei Monaten, in denen das Lager bestand, 1.500 Menschen zu Tode gequält.

Seit Mitte 1993 hat in der Bundesrepublik die Bundesanwaltschaft bisher 80 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf „Völkermord“ eingeleitet. 33 davon mußte sie wieder einstellen, weil ein Tatnachweis nicht erbracht werden konnte. Das Verfahren gegen Tadić hat Den Haag übernommen, 46 andere werden von der Bundesanwaltschaft weiterverfolgt. Sechs Haftbefehle wurden auf ihren Antrag hin erlassen. Zwei der Gesuchten konnten Mitte Dezember und Mitte Januar verhaftet werden, gegen die vier anderen Beschuldigten ist eine internationale Fahndung ausgeschrieben worden.

An der Festnahme der beiden Muslime Delacić und Mucić und des Serben Lajić in Deutschland und Österreich waren Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) dagegen nicht beteiligt. Die Verhaftungen gingen auf ein Festnahmeersuchen des Haager Gerichtshofes zurück. Die deutschen Beamten leisteten lediglich Amtshilfe bei der Festnahme.

In ihren eigenen Ermittlungen stützt sich die Bundesanwaltschaft juristisch auf das „Weltrechtsprinzip“. Danach können und müssen international geächtete Verbrechen wie Völkermord auch in der Bundesrepublik verfolgt werden – unabhängig davon, ob sie in Deutschland begangen wurden. Eingeschränkt ist der gesetzlich normierte Verfolgungszwang nur durch die Regelung, daß den Ermittlungen ein „inländischer Bezug“ zugrunde liegen muß. Und dieser ist bereits gegeben, wenn sich der Beschuldigte in der Bundesrepublik aufhält.

Der Begriff des Völkermordes umfaßt nicht, wie man meinen könnte, nur einen Mord oder eine Beihilfe dazu. Völkermord wird gesetzlich definiert als die „Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Zur Rechenschaft gezogen werden kann danach auch, wer in dieser Absicht „Mitgliedern der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden zufügt“ oder wer „die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“. Die in der Bundesrepublik anhängigen Verfahren richten sich vorwiegend gegen serbische Beschuldigte, denen Mord und Totschlag im früheren Jugoslawien vorgeworfen wird. In etwa einem Viertel der Fälle wird den Beschuldigten vorgeworfen, im Rahmen einer gezielten Vertreibungsstrategie bei der Eroberung bosnischer Dörfer Plünderungen, Raub und Freiheitsberaubungen begangen zu haben. Des weiteren wird wegen schwerer Körperverletzung ermittelt, etwa gegen Milizionäre in den „Gefangenenlagern“.

Bei rund zehn Prozent der Ermittlungsverfahren sprechen die Mitarbeiter von Bundesanwaltschaft und BKA von „Weekend- Tschetniks“. Gemeint sind damit seit langem in Deutschland lebende Serben, denen vorgeworfen wird, sich bei wiederholten Aufenthalten in Bosnien an Völkermord-Handlungen beteiligt zu haben.

Bei ihren Ermittlungen sind die Beamten vor allem auf Hinweise von Menschenrechtsgruppen, Dokumentationszentren und Betreuungsinitiativen der Flüchtlinge angewiesen. „Ohne diese Stellen“, räumt Oberstaatsanwalt Griesbaum freimütig ein, „wäre eine solche Arbeit nicht möglich“.

Über 300 Personen haben BKA-Mitarbeiter in den letzten zwei Jahren befragt und anschließend versucht, deren Aussagen durch weitere Indizien zu untermauern. Nicht sagen können die Ermittler, ob aussagebereite Opfer von ihren früheren Peinigern bedroht wurden oder werden. Die BKA-Beamten müssen jedoch feststellen, daß die Zeugen ihre früheren Aussagen häufig zurückziehen. Angesichts einer möglichen Rückkehr nach Bosnien verstummen viele – aus Angst, ihre Zeugenaussage könnte in der Heimat bekanntwerden und Racheaktionen nach sich ziehen.

Eine weitere Schwierigkeit ist für die Ermittler, den Nachweis zu führen, daß die Übergriffe im Rahmen einer systematischen Völkermord-Handlung begangen wurden. Gelingt dies nicht, können selbst die gröbsten Menschenrechtsverletzungen in Deutschland nicht weiterverfolgt werden, weil dann das „Weltrechtsprinzip“ nicht greift. Der Bundesanwaltschaft bleibt dann allenfalls, den ermittelten Sachverhalt den Behörden in Bosnien, Kroatien oder Serbien zur Verfügung zu stellen. Wolfgang Gast