Ein Neubau zu Mekka

■ Theater gegen den Trend: Oldenburg schafft mehr Platz für sein notorisch begeistertes Publikum

Gehen in Oldenburg die Uhren anders? Landauf, landab fließen in der Kulturszene die Tränen um fehlende Subventionen; anläßlich schwindender Zuschauerzahlen sehen viele das Theater sterben. Die Theaterleute in Oldenburg aber lachen. Hier steht der erste Spatenstich für den 21 Millionen Mark teuren Anbau des Staatstheaters bevor. Weitere 40.000 Karten meint man pro Saison verkaufen zu können. Für Erfolgstücke wie „La Cage aux folles“ sind schon am ersten Vorverkaufstag keine Tickets mehr zu erhalten. Nun haben die Oldenburger neben dem Zuspruch des Publikums auch noch das große Los gezogen. Ihnen ist das Geld für den Umbau quasi in den Schoß gefallen.

„Wir hätten sonst noch ziemlich lange warten müsssen“ schätzt Reinhard Knappert, Verwaltungsdirektor des Oldenburgischen Staatstheaters, die Finanzkraft der eigentlich zuständigen Landesregierung in Hannover ziemlich realistisch ein. Knappert ist ein nüchterner Mann, der sich früher um Fischereiwirtschaft und Personalfragen bei der Behörde gekümmert hat. Zufrieden klopft er auf die grauen Papierstapel. Bereits im März 1992 hat er der Landesregierung sein Theaterkonzept vorgelegt. Eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die die Vorteile und Nachteile des Betriebs auflistet. Die Defizite: Die Gagen sind zu niedrig, das Orchester wird zu schlecht bezahlt und, sicher die größte Überraschung für die Kultusministerin in Hannover Helga Schuchardt, es braucht einen Neubau. „Das ist eine ganz einfache Rechnung. Wir könnten pro Saison 40 000 Karten mehr absetzten. Mit dem Neubau haben wir den Platz um die Leute unterzubringen.“ Zur Zeit herrscht nämlich Kartenknappheit. Wer im Umland wohnt und den Renner „La cage aux folles“ sehen will, hat keine Chance.

Mehr Platz als bisher sollen sie bekommen, wenn im Sommer mit dem Erweiterungsbau des Theaters begonnen wird. Die neue Spielstätte bekommt eine Bühne, die sich für Schauspiel- und Musicalaufführungen, sowie kleine Operetten eignet. Ein Neigung im Zuschausaal soll auf allen 350 Sitzplätzen gute Sichtmöglichkeiten gewährleisten.

Auch architektonisch will man die Fehler der Vergangenheit vermeiden. Dort, wo jetzt der gegenwärtige Spielraum an die muntere Beton-Modernität der 70er Jahre erinnert, soll in Zukunft „die Dominanz des historischen Theatergebäudes nicht geschmälert werden“. Geplant ist eine verglaste Rotunde, die einen Treppenaufgang und das Foyer zum neuen Spielraum bergen soll. Der 1969 an das alte Gründerzeit-Theater angebaute Spielraum soll abgerissen werden. In Zeiten, in denen andere Theater kleine intimere Räume suchen, betreibt man in Oldenburg eine Kapazitätsaufstockung auf 1230 Plätze. Oldenburg, ein Mekka der Theaterfreaks?

Zumindest hat die Liebe zum Theater Tradition. Schon vor hundert Jahren baute sich die mals erste 35.000 Einwohner zählende Stadt ein Theater mit 880 Sitzplätzen. Heute besitzen von den 150.000 Einwohnern Oldenburgs allein 12.000 ein Abonnement im Theater. Zu diesem großen Stamm an verläßlichenBesuchern kommen noch 375 000 potentielle Kartenabnehmer, die im Umkreis von einer Stunde Anfahrtszeit leben.

Warum sie nach Oldenburg fahren? Im Theaterspielplan scheint die Feinabstimmung auf die Sehgewohnheiten des Publikums gelungen zu sein. Neben Rennern wie dem „Käfig voller Narren“ leistet man sich auch Experimentelles. Wie das Politstück „Solingen“ des Hausdramaturgen und Autors John van Düffel. Daneben laufen freilich auch sichere Nummern, die vermutlich noch lange auf dem Programmzettel stehen werden: „Ghetto“, „Der Babier von Sevilla“, „Don Giovanni“. Stationen absehbarer Erfolge, deren Preis künstlerische Mittelmäßigkeit und das Streben nach optimaler Platzausnutzung sind? Die Oldenburger weisen das zurück. „Wir sind immer noch auf das Risiko aus“, sagt Knappert; demnächst steht eine neue Oper von Adriana Hölsky auf dem Spielplan. Ob das ein Kassenflop wird oder nicht, das kümmere hier niemanden bei der Planung.

Zum Publikumszuspruch kommt nun auch noch eine Portion Glück bei der Finanzierung. Denn wie durch ein Wunder ist den Oldenburgern eine Summe in den Schoß gefallen, mit der der Theaterumbau gesichert ist. Die Grundlage bot ein neues EU-Gesetz, das u.a. auch zur Auflösung des Monopols der „Öffentlichen Versicherung Oldenburg“ führte. Die niedersächsische Versicherung mußte neue Träger hinzunehmen. Diese Einsteiger brachten Kapital ein, das in einer Kulturstiftung angelegt wurde. Und aus der wird nun der gesamte Umbau des Theaters finanziert. Susanne Raubold