Goldgelb panierte Satansbraten

■ Trauma und Ironie: George Tabori urinszeniert seine "Ballade vom Wiener Schnitzel" am Akademietheater Wien

Lustlos stochert Morgenstern in einem ziemlich triefenden Schnitzel. George Tabori macht Alfons Morgenstern (Gert Voss), den Protagonisten der „Ballade vom Wiener Schnitzel“, zum Restauranttester für den „Kronawitter- Guide“. Sein Beruf liefert ihn den An- und Zumutungen der Wiener Küche aus. Diese Küche ist ein intensiv duftendes Reservat, ein Ort der Kindheitserinnerung, der Sehnsucht nach Geborgenheit durch Sattsein. Diese affektbeladene „Mutterküche“ soll Morgenstern nun nach Hauben und Sternen, den durchrationalisierten Bewertungssystemen aus der französischen Küche, klassifizieren.

Ein Vorhaben, das sich gegen ihn selbst richten wird. Das „Wiener Schnitzel“ hat bekanntlich zwei Seiten. Das goldgelbe, den Tellerrand überragende Stück paniertes Kalb ist Heimat, nicht jedoch für Morgenstern. Die fetttriefend-aggressive Heimattümelei auf der Rückseite kennt der Jude Morgenstern nur zu gut und kann sie nicht vergessen. Beim Schnitzel gibt's „keine Würschtl“. Offener Chauvinismus findet in Österreich heute nur noch auf der Speisekarte statt. Und wenn Morgenstern den Wiener Köchen, die ihre Küche a priori für die beste halten, ihr Schnitzel madig macht, gerät diese Szene in seinem Tagtraum zur antisemitischen Demütigung. Acht Köche, die alle auf den sinnfälligen Namen Hermann hören, ergreifen ihn: „Gebt ihm ein Schnitzel! Stopft es dem Saujud' in den Schlund!“

„Die Ballade vom Wiener Schnitzel“ ist die neuerliche Variante des Lebensthemas eines Überlebenden, das Nicht-vergessen-Können der Opfer und die Vergessenheit der Nachgeborenen. Alfons Morgenstern hat die Ermordung seiner Familie überlebt und nach dem Krieg mit der späten Liebe zu einer nichtjüdischen Frau ein neues Leben begonnen – Taboris Ironie folgend als jüdischer Tester dezidiert nichtjüdischer Speisen. Immer wieder ereilen ihn Bilder und Stimmen der „bösen braunen Zeit“. Täglich aufs Neue durchleidet er die Angst, „abgeholt“ zu werden, wie damals die Verwandten, Nachbarn und Freunde. Das sichere Bewußtsein, in der Gegenwart zu leben, nimmt der erlebten Erinnerung nicht die Kraft. Zwischen Zuständen des Außersichseins vor Angst kann der Alfons Morgenstern von Gert Voss mit selbstironischen Pointen brillieren.

Die überlebenden Opfer leben zweifach getrennt – von den Ermordeten wie auch von einer Mitwelt, die vergessen kann, der sich die Gegenwart in ihren gewöhnlichen Erfahrungsmustern über die Vergangenheit legt. Die Traumata der Überlebenden lassen sich nicht durch die Sprache integrieren und sind daher auch nicht im klassischen Sinne therapierbar. Für ein solches Ansinnen entwickelt Tabori nur Hohn. Der angstgebeutelte Morgenstern wird von seinem Schwager (Erich Schleyer) in einer „Dr. Eisenbart“-Episode aus der Wohnung in die Tierklinik „abgeholt“.

George Tabori nähert sich in seinen Texten der Geschichte durch Geschichten an, er erzählt Unaussprechliches durch Anekdoten. Morgenstern sitzt vor Angst zitternd im Schrank, doch statt eines martialischen SS-Mannes steht nur der Kaminkehrer vor der Tür, der beim Eintreten Frau Morgenstern (Ursula Höpfer) dreist von hinten unter den Rock greift, was sie mehr juchzend als genötigt zur Seite springen läßt. Als der Spuk vorbei ist, spekuliert Morgenstern über die sagenhafte Potenz von Postboten, ohne zu bemerken, daß sein treues Weib in ihrer Not sich auch noch mit einem solchen eingelassen hat.

Das Schreckliche durch das Triviale: Das fragile Gleichgewicht von Taboris Texten bedarf des kongenialen Spiels eines Bühnenvirtuosen wie Gert Voss, um nicht in seine Bestandteile zu zerfallen. Das Tabori-Theater und seine Ästhetik der Ironisierung ist eine gelungene Symbiose zwischen Tabori und Voss, zwischen Autor- Regisseur und seinem Schauspieler. Tabori bringt es sogar fertig, Gert Voss von seinem Hang zur Manieriertheit abzubringen.

In den weiteren Strophen der „Ballade vom Wiener Schnitzel“ erfährt Morgenstern eine rätselhafte Läuterung im allegorischen Spiel. In der Tierklinik seines Schwagers gerät er unter höchst menschliche Bestien. Die Tiere erweisen sich als fröhliche Antisemiten von anno 1938. Nach einer derben Höllenfahrt versucht Morgenstern, die über Jahrhunderte akkumulierten Demütigungen loszuwerden. „In drei Teufels Namen“ will er die physiognomischen Merkmale, die der Stürmerantisemitismus ihm, dem Juden, andichtet, ablegen. Doch nach der Operation durch die drei Satansbraten in rotem Lackleder hat Morgenstern ein Zerrbild auf sich genommen.

Im Schlußbild, vor den geschändeten Gräbern seiner Familie, fällt der Text in den Ton biblischer Rede. Morgenstern debattiert die Gerechtigkeit Gottes. „Bist du Hiob? – Wer ist das nicht?“ antwortet Morgenstern. Nach dem namenlosen Sterben hat selbst die religiöse Überlieferung eine andere Qualität. Uwe Mattheiß

„Die Ballade vom Wiener Schnitzel“ von George Tabori. Regie: George Tabori. Mit Gert Voss. Akademietheater Wien