Kubas Zukunft unter Vormundschaft der USA

Nicht nur die gegenwärtige Regierung Kubas ist vom jüngst beschlossenen US-Blockade-Gesetz betroffen. Das Gesetz schreibt auch die Kontrolle über die künftigen Regierungen fest. Selbst Castro-Gegnern ist das zu kolonial  ■ Von Bert Hoffmann

So breit war der Widerstand gegen das Kuba-Embargo der USA noch nie. Die EU sieht die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verletzt, Kanada und Mexiko drohen Washington Klagen wegen Verstoßes gegen das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) an. Doch so lautstark der Protest gegen das jüngst vom US-Kongreß beschlossene Helms- Burton-Gesetz ist, so partiell ist er auch: Er richtet sich nur gegen jene Teile, die die Drohungen auf Unternehmen jedweder Nationalität ausweiten. Völlig vergessen wird dabei Teil zwei der Gesetzes – sehr zu Unrecht. Bekannt ist, daß das Helms-Burton-Gesetz eine Vielzahl von Sanktionen und Strafmaßnahmen gegen die gegenwärtige kubanische Regierung festschreibt, verschärft und erweitert. In Teil zwei aber geht es um die US-Politik gegenüber zukünftigen kubanischen Regierungen, unter dem schönen, ins Positive weisenden Titel: „Unterstützung für ein freies und unabhängiges Kuba“. Die Quintessenz: Mit Gesetzeskraft wird Kubas Zukunft unter die Vormundschaft der USA gestellt – weit über Castro hinaus.

Der Kongreß legt dem US-Präsidenten – sei es nun Clinton, Dole oder sonstwer – eine enge Zwangsjacke für jegliche künftige Kuba- Politik an. So darf er nunmehr erst dann „Schritte zur Aufhebung des Embargos“ einleiten, wenn er zuvor nachgewiesen hat, daß in Kuba eine „Übergangsregierung“ an der Macht ist (§ 204a). Und natürlich wird auch per US-Gesetz definiert, was eine Übergangsregierung in Kuba ist: „§ 205: Erfordernisse und Faktoren zur Bestimmung einer Übergangsregierung“. Demnach muß diese nicht nur „alle politischen Aktivitäten legalisiert haben“ (§ 205a 1), sondern auch „die gegenwärtige Abteilung für Staatssicherheit im Innenministerium aufgelöst haben, einschließlich der ,Komitees zur Verteidigung der Revolution‘ und der ,Brigaden der schnellen Antwort‘“ (§ 205a 3). Was aus Sicht kubanischer Funktionäre, so reformorientiert sie auch sein mögen, weniger eine Übergangsregierung beschreibt als vielmehr einen schon ziemlich kompletten Machtwechsel.

Aber die Liste der Forderungen geht weiter. Eine Übergangsregierung, die auf eine Lockerung des US-Embargos hoffen will, muß zuvor nicht nur international überwachte Wahlen versprechen (§ 205a 4) sowie den Aufbau einer unabhängigen Justiz (§ 205a 6a) und die Zulassung unabhängiger Gewerkschaften (§ 205a 6c) zusichern, sondern auch dafür Sorge tragen, daß private Medien und Telekommunikationsfirmen auf der Insel zugelassen sind (§ 205 b 2c) und „angemessene Schritte“ unternommen werden, um enteigneten US-Bürgern oder -Firmen ihren Besitz zurückzugeben oder sie zu entschädigen (§ 205 b 2d).

Die Kubaner selbst bestimmen, es sei denn ...

Schließlich geht es, wie könnte es anders sein, auch um Fidel Castro. Zwar hatte der Gesetzestext zuvor in schönen Worten erklärt, daß „in bezug auf die Wahl des kubanischen Volkes über ihre zukünftige Regierung die USA keine Vorzugsbehandlung oder Einfluß auf irgendeine Person oder Organisation ausüben werden“ (§ 201 10); doch ein paar Absätze weiter heißt es dann ganz unverblümt: „Eine Übergangsregierung in Kuba ist eine Regierung, der (...) weder Fidel Castro noch Raúl Castro angehören“ (§ 205a 7).

Doch nicht einmal einer Regierung, die all dies täte, verspricht das Helms-Burton-Gesetz ein Ende des US-Embargos. Die ganze Konstruktion des Gesetzes läuft vielmehr darauf hinaus, daß auch dann die schrittweise Aufhebung der Sanktionen ein Hebel bliebe, um die kubanische Regierung beständig auf Linie zu bringen. Violeta Chamorro bekam in Nicaragua noch Jahre nach der Abwahl der Sandinisten die ökonomischen Druckmittel der USA zu spüren – einer einer „Übergangsregierung“ in Havanna würde es kaum anders ergehen.

Denn auch für das, was die USA schließlich nicht mehr nur als „Übergangsregierung“, sondern als vollwertige „demokratisch gewählte Regierung“ in Kuba anerkennen würden, listet das Gesetz einen Forderungskatalog auf, der den USA reichlich Spielraum für Einmischung bietet. „§ 206: Erfordernisse zur Bestimmung einer demokratisch gewählten Regierung“ jedenfalls stellt klar, daß eine solche sich keineswegs nur dadurch bestimmt, daß sie demokratisch gewählt ist. Vielmehr muß sie sich auch „substantiell auf ein marktwirtschaftliches System zubewegen, das auf dem Recht basiert, Eigentum zu besitzen und zu genießen“ (§ 206 3), sowie „Fortschritte bei der Rückgabe oder Entschädigung konfiszierten US-Eigentums“ (§ 206 6) vorzeigen.

Nicht Reform, sondern Unterwerfung ist gefragt

Selbst für viele entschiedene Castro-Gegner ist der Dominanz-Anspruch des Gesetzes ungenießbar. „Mit dem Helms-Burton-Gesetz würde Kuba von der Diktatur Fidel Castros in die Vormundschaft des US-Kongresses fallen“, wettert etwa Alfredo Durán, einst Teilnehmer der Schweinebucht-Invasion und heute Führer einer der moderaten Organisationen innerhalb des kubanischen Exils in Miami. „All die Vorgaben in dem Gesetz legen Kriterien für Demokratie in Kuba fest, die zu bestimmen allein das Recht des kubanischen Volkes sein kann“, schäumt er.

Was die im Helms-Burton-Gesetz angedrohten Sanktionen gegen ausländische Investoren angeht, so ist Bill Clinton sichtlich um Schadenbegrenzung bemüht: Man wolle versuchen, ließ er Staatssekretär Edward Casey bereits in Brüssel ausrichten, die Anwendung des Gesetzes so „flexibel“ zu handhaben, daß möglichst keine Unternehmen aus anderen Ländern betroffen sind. Doch wo es „nur“ um die fast kolonialen Anmaßungen des Gesetzes gegenüber Kuba selbst geht, hat der US- Präsident kaum internationalen Protest zu fürchten.

In ihren politischen Konsequenzen sind diese Passagen gleichwohl verhängnisvoll. Sollte es in Kuba tatsächlich zu einer politischen Wende im Sinne der Anti-Castro- Hardliner kommen, dann ist das Helms-Burton-Gesetz bereits heute der undemokratische Geburtsfehler der neuen Verhältnisse. Fürs erste aber tut das Gesetz vor allem eines: Es läßt für Reformen in Würde keinerlei Spielraum, es verlangt völlige Unterwerfung – und dem setzt Castro starres Durchhalten entgegen. So stärkt das Gesetz die rigidesten Seiten des kubanischen Regimes.

Es ist deprimierend, noch einmal die Berichte und Zeitungsartikel der letzten Monate durchzusehen. Die vielen Versuche der moderaten Kräfte in den USA, das Helms-Burton-Gesetz zu verhindern, bis das aggressive Wahlkampfklima überstanden ist. Und die vielfältige Reisediplomatie auf der Suche nach einer vorsichtigen Entspannung: Der Kuba-Besuch zweier Söhne von Robert Kennedy, die sich mit Fidel Castro trafen; eine hochkarätige Delegation ehemaliger US-Militärs, die erstmals auch das im Bau befindliche kubanische Atomkraftwerk von Juraguá besichtigen konnte; dann Präsident Clintons Ankündigung vom 8.Februar, regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) in den USA künftig Lizenzen für Hilfsleistungen auch nach Kuba zu geben, auch über rein humanitäre Projekte hinaus; anschließend seine Beteuerung, gegen das Helms-Burton-Gesetz in der vorliegenden Form sein Veto einzulegen; die Visite des Demokratischen Kongreßabgeordneten Richardson im Januar, der zu einem 5-Stunden-Gespräch mit Castro nach Havanna kam – angeblich nur als einfacher Abgeordneter ohne direkten Auftrag Clintons, dies aber in einer Maschine der US Air Force; kurz darauf ein weiterer demokratischer Abgeordneter, Joe Moackley, der sich sechs Stunden lang mit Castro traf und ihn dabei um „irgendeine Art Geste“ bat, die diejenigen unterstützen würde, die im US-Kongreß gegen das Helms- Burton-Gesetz opponieren.

Castro entschied sich für eine andere Geste: den Abschuß zweier Zivilflugzeuge von radikalen Exilkubanern. Vier Menschen starben – und alle Entspannung war mit einem Schlag zunichte gemacht. Helms, Burton & Co. hatten keinerlei Mühe mehr, binnen nur zehn Tagen ihre Vorlage durch beide Häuser des Kongresses zu bekommen, und Präsident Clinton unterzeichnete sie im Beisein der Familienangehörigen der vier getöteten Piloten. Die Hardliner in den USA haben einen Feind, auf den sie sich verlassen können.