Ausblick auf den Big-brother-Staat

■ Die Welt am Draht ermöglicht lückenlose Überwachung

Nichts verändert die Gesellschaft gegenwärtig so tiefgreifend wie die neuen Informationstechnologien. Die erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten durch Internet, der Einsatz von Chipkarten als Krankenschein, die Auslagerung von Arbeitsplätzen an den häuslichen Terminal. Doch die schöne neue Datenwelt wirft auch ihre Schattenseiten. Der Schweizer Autor Beat Leuthardt möchte in „Leben on line“ sensibilisieren für die „negative Kehrseite“ der Informationstechnologien. Er möchte die Gefahren zeigen, „die heute schon klar erkennbar sind“. In seiner Studie konzentriert er sich auf den Einsatz der Elektronik durch die staatlichen Stellen und der daraus resultierenden Möglichkeit, die einzelnen BürgerInnen stärker zu überwachen.

Ein Schwerpunkt ist das Schengener Abkommen und die geplante europäische Polizei „Europol“. Werden – bei der Umsetzung von Europol – die Datensätze der Polizeien aus den EU-Mitgliedsländern zu Analysezwecken zusammengeführt, dann wird damit der Schritt von der Fahndung weg, hin zur Überwachung vollzogen. Ähnlich im Bereich des Ausländerrechts und in der Drogenbekämpfung. Die riesigen Datenmengen, von intelligenten Programmen ausgewertet, bergen die Gefahr, daß einzelne Personen, die bestimmte Kriterienmuster erfüllen, ohne jeden weiteren Anhaltspunkt als verdächtig oder gar auffällig gelten. Das harmlose Beispiel Verkehrsüberwachung zeigt, wie es geht. Werden, wie in einigen Modellprojekten bereits angedacht, Autobahngebühren beim Passieren der Mautstellen via Satellit gemeldet und abgespeichert, so läßt sich leicht ein Bewegungsbild des Fahrzeugs erstellen. Ähnliches gilt bei der Erfassung der einzelnen Telefonate zur Überprüfung der Gebühren. Hier läßt sich das Kommunikationsprofil eines jeden Fernmeldeteilnehmers ohne Probleme erstellen.

Technisch sind die Möglichkeiten, die Leuthardt beschreibt, sicherlich umzusetzen. Nur, ob dies gemacht wird, bleibt offen. Dies ist ein Manko aller Studien, die den Orwellschen Big-brother-Staat thematisieren. Sie eröffnen düstere Ausblick auf die technischen Möglichkeiten. Aber sollte das die Leser dazu verführen, sich kritisch mit den modernen Informationstechnologien zu beschäftigen, dann ist dies allemal ein Fortschritt. Wolfgang Gast

Beat Leuthardt, „Leben on line“. Rororo-aktuell TB 1996, 224 S., 14,90 DM