: Bei den Renten werden Politiker unehrlich
■ CDU-Vize Geißler: Renten dürfen nicht sinken. Doch sie müssen
Berlin (taz) – Heiner Geißler, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat davor gewarnt, die Renten zu kürzen. Im Saarländischen Rundfunk sagte der Sozialexperte: „Es dürfen keine Vorschläge realisiert werden, die praktisch zu einer Rentensenkung führen.“ So lehnte Geißler es ab, Rentnern den vollen Beitragssatz zur Krankenversicherung abzuverlangen. Als Möglichkeiten für Einsparungen nannte er die Anrechnung von Ausbildungszeiten und die Berechnung von Fremdrenten an Spätaussiedler.
Am Wochenende waren Pläne des Blüm-Ministeriums bekannt geworden, das Renteneintrittsalter für Frauen von derzeit 60 auf 63 Jahre anzuheben. Außerdem sollen Ausbildungszeiten bei der Rente nur noch bis zu drei Jahren berücksichtig werden. Renten für Aussiedler werden nach den Plänen gekürzt und die Leistungen bei Rehabilitationen verringert. Mit diesen kurzfristigen Maßnahmen soll der Beitrag zur Rentenversicherung im kommenden Jahr bei unter 20 Prozent gehalten werden.
Die Grundprobleme der Rentenversicherung lösen allerdings auch Blüms Vorschläge nicht. „Die langfristige demographische Entwicklung wird von der Politik zuwenig gesehen“, sagt der Rentenexperte Peter Schmidt vom Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW. Im Jahre 2030 kommen nach ZEW-Berechnungen neun Rentner auf zehn Erwerbstätige – bei einem Beitragssatz von 31,8 Prozent. Das heißt, ein Berufstätiger mit einem Bruttogehalt von 5.000 Mark müßte fast 800 Mark in die Rentenkasse zahlen.
Um die Beitragslast erträglich zu halten, ist nach Ansicht des Ökonomen eine künftige Diskussion um das Rentenniveau und das Renteneintrittsalter unumgänglich. „Man kann im Grunde nur am Renteneintrittsalter, am Rentenniveau und an den Beitragssätzen drehen.“ Allein um den Beitragssatz auf einem Niveau von 29 Prozent zu halten, sind nach Schmidts Berechnungen bis zum Jahre 2030 Rentenabschläge von rund einem Drittel nötig für jene, die schon mit dem 60. Lebensjahr in den Ruhestand gehen. Da dieser Beitragssatz immer noch sehr viel höher ist als die derzeit 19,2 Prozent an Versicherungsbeitrag, werden die Politiker auch über das Rentenniveau diskutieren müssen, so Schmidt. Bisher geht die Rentenberechnung von einem Niveau in Höhe von etwa 70 Prozent des letzten Gehalts aus. „Möglicherweise wird künftig dann über ein Niveau von 60 bis 65 Prozent verhandelt werden.“
Auch der Eintritt in die Rente mit 66 Jahren oder mehr könnte in die Debatte geraten, meinte der ZEW-Forscher. Nach der Rentenreform von 1992 erhöht sich das Zugangsalter für Männer bis zum Jahr 2006, bei Frauen bis zum Jahr 2012 schon auf 65 Jahre.
Eine Verzögerung der notwendigen Schritte verschärfe die Situation, betonte Schmidt. Die langfristig „nötigen tiefen Einschnitte“ seien überdies immer schwerer durchsetzbar, weil sich die politischen Mehrheitsverhältnisse zugunsten älterer Generationen verschieben würden.
Bisher schon ergeben Berechnungen, daß es sich für jüngere Beitragszahler mehr rechnen würde, wenn sie die Rentenbeiträge als Kapital bei einer Bank anlegten. Die Relation von derzeitiger Renteneinzahlung und erwartetem Ertrag dürften künftig noch ungünstiger werden. Barbara Dribbusch
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